§§ 35, 80 InsO; § 55 Abs. 3 S. 2 und Abs. 5 BRAO; §§ 240, 261 ZPO
Leitsatz
- Ein Kanzleiabwickler im eröffneten Insolvenzverfahren hat zwar die Befugnis zur Entgegennahme von Gebühren, nicht jedoch zur gerichtlichen Geltendmachung.
- Zur Geltendmachung ist nur der Insolvenzverwalter gem. § 80 InsO befugt.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.3.2023 – 10 U 104/21
I. Sachverhalt
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein beabsichtigtes Berufungsverfahren. Der Beklagte beauftragte die ehemalige Rechtsanwältin E… B… (nachfolgend Schuldnerin) am 18.8.2012 mit der anwaltlichen Vertretung in einem Asylverfahren. Die Schuldnerin war in der Folgezeit für den Beklagten tätig. Der Kläger ist vor dem 7.8.2015 zum Abwickler der Kanzlei der ehemaligen Rechtsanwältin bestellt worden und war ebenfalls für den Beklagten tätig. Mit Rechnung vom 19.12.2016 forderte der Kläger den Beklagten erfolglos zur Zahlung von Anwaltsgebühren i.H.v. 14.121,15 EUR auf. Am 13.1.2017 eröffnete das AG Charlottenburg das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte Rechtsanwalt M… zum Insolvenzverwalter. Das LG hat auf den am 20.12.2016 eingereichten Antrag am 27.9.2018 PKH bewilligt, die Klage ist am 8.5.2019 zugestellt worden. Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 14.121,15 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Das LG hat der Klage i.H.v. 2.556,80 EUR stattgegeben und sie i.Ü. mit gebührenrechtlicher Begründung abgewiesen. Hiergegen richtet sich die beabsichtigte Berufung des Klägers, für deren Einlegung er die Bewilligung von PKH beantragt. Er kündigt folgenden Antrag in der Hauptsache an: Den Beklagten unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils zu verurteilen, an den Kläger weitere 11.554,35 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz 11.1.2017 zu verurteilen und auf den bereits titulierten Betrag von 2.566,80 EUR Zinsen i.H.v. 5-% Punkten über dem Basiszinssatz vom 11.1.2017 bis 7.5.2019 zu zahlen. Der Senat hat den Kläger darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens Zweifel an seiner Aktivlegitimation bestehen.
II. Keine PKH bei fehlender Erfolgsaussicht – fehlende Aktivlegitimation
Das OLG Brandenburg stellte zunächst fest, dass eine PKH nicht bewilligt werden könne, da eine Erfolgsaussicht nicht bestehe. Da die Insolvenz zwischenzeitlich eröffnet worden sei, gäbe es besondere Bestimmungen zu beachten. Ein Kanzleiabwickler sei zwar als Partei kraft Amtes grds. gem. § 55 Abs. 5, Abs. 3 S. 2 BRAO befugt, Gebührenforderungen der ehemaligen Rechtsanwältin im eigenen Namen geltend zu machen. Werde jedoch das Insolvenzverfahren eröffnet, müssen die aus der Kollision von Berufsrecht und Insolvenzrecht folgenden Besonderheiten berücksichtigt werden.
III. Befugnisse des Kanzleiabwicklers
Unter Verweis auf den BGH (Urt. v. 23.6.2005 – IX ZR 139/04, Rn 16) sei der nach § 55 BRAO bestellte Abwickler auch im eröffneten Insolvenzverfahren befugt, das vorhandene Barvermögen in Besitz zu nehmen hat, um daraus die Kosten für die vorläufige Aufrechterhaltung des Kanzleibetriebs zu bestreiten. Aus dieser Befugnis folgere jedoch nicht, dass der Abwickler auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur gerichtlichen Geltendmachung von Forderungen der abzuwickelnden Kanzlei befugt wäre. Denn die gerichtliche Geltendmachung von Forderungen der abzuwickelnden Kanzlei gehört nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr zu den Aufgaben des Abwicklers. Diese unterfallen nämlich dem Insolvenzbeschlag und können daher vom Abwickler nicht (mehr) geltend gemacht werden.
IV. Aktivlegitimation kann auch nachträglich entfallen
Auch wenn – wie im entschiedenen Fall – die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erst nach Anbringung des erstinstanzlichen Prozesskostenhilfegesuchs aber vor Zustellung der Klageschrift erfolgt, scheide eine Aktivlegitimation aus. Das PKH-Verfahren – so das OLG – bewirke als Vorverfahren weder Anhängigkeit noch Rechtshängigkeit der Klage. Auch die formlose Übersendung des PKH-Antrags könne nicht die Wirkung der Rechtshängigkeit der Klage begründen.
V. Befugnis alleine beim Insolvenzverwalter
Gem. § 80 InsO geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Dies gilt grds. auch für das Vermögen eines in Insolvenz gefallenen Rechtsanwalts (BGH, Urt. v. 28.11.2019 – IX ZR 239/18, BGHZ 224, 177–195, Rn 32). Zwar ist der Abwickler nicht der Schuldner, da der Schuldner der ehemalige Rechtsanwalt ist. Das ändert aber nichts daran, dass das Recht zur Verfügung über die Insolvenzmasse gem. § 80 InsO beim Insolvenzverwalter und damit auch für Gebührenforderungen des ehemaligen Rechtsanwalts liegt. Wenn also aus Tätigkeiten der Schuldnerin vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Gebührenforderungen entstanden sind und dennoch vom Abwickler geltend gemacht werden, sprechen Wortlaut und Systematik der maßgeblichen Vorschriften gegen eine fortbestehende Verfügungsbefugnis des Abwicklers – j...