§§ 15 Abs. 3, 19 RVG; Nrn. 3100, 3101, 3307 VV RVG; § 269 ZPO
Leitsatz
Nimmt der Kläger nach Abgabe des Mahnverfahrens den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens vor Anspruchsbegründung zurück, entsteht für den Anwalt des Beklagten eine 0,8-Verfahrensgebühr aus der Hauptsache und, wenn er einen Kostenantrag stellt, unter Berücksichtigung des § 15 Abs. 3 RVG noch eine weitere 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Wert der Kosten.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 8.3.2023 – 6 W 10/23
I. Sachverhalt
Das AG hatte auf Antrag der Antragstellerin einen Mahnbescheid gegen die Antragsgegnerin erlassen. Dagegen hat diese, anwaltlich vertreten, Widerspruch eingelegt. Für den Fall des Widerspruchs hatte die Antragstellerin bereits im Mahnantrag die Abgabe an das zuständige LG beantragt. Nach Abgabe an das LG nahm die Antragstellerin ihren Antrag vor Anspruchsbegründung wieder zurück. Der Anwalt der Antragsgegnerin stellte daraufhin Kostenantrag und beantragte nach Erlass der entsprechenden Kostenentscheidung u.a. die Festsetzung einer 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Wert der Hauptsache. Der Rechtspfleger hat nur eine 1,3-Verfahrensgebühr aus dem der bis zur Antragstellung entstandenen Kosten zzgl. Post- und Telekommunikationspauschale in Ansatz gebracht.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde verfolgt die Antragsgegnerin ihren ursprünglichen Kostenfestsetzungsantrag weiter, hilfsweise führt sie aus, dass ihr mindestens eine 0,8-Verfahrensgebühr aus dem vollen Streitwert sowie eine 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Kostenstreitwert zustehe.
Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, sondern sie dem OLG zur Entscheidung vorgelegt, das den Kostenfestsetzungsbeschluss aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen hat.
II. 0,5-Verfahrensgebühr für den Widerspruch aus dem Wert der Hauptsache
Dem Anwalt der Antragsgegnerin ist im Zusammenhang mit der Einlegung des Widerspruchs gegen den ihr zugestellten Mahnbescheid zunächst eine 0,5-Verfahrensgebühr nach Nr. 3307 VV aus dem Hauptsachestreitwert erwachsen. Diese Gebühr ist nach Anm. zu Nr. 3307 VV allerdings auf die Verfahrensgebühr im nachfolgenden Rechtsstreit anzurechnen.
III. 0,8-Verfahrensgebühr aus dem Wert der Hauptsache
Auch ist eine 0,8-Verfahrensgebühr aus der Hauptsache entstanden, weil die Antragstellerin mit dem Mahnbescheidsantrag bereits den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens gestellt hatte. Dieses gehört nicht mehr zum Mahnverfahren, sondern zum nachfolgenden streitigen Verfahren und löst damit für die Antragsgegnerin eine Verfahrensgebühr nach Nrn. 3100 ff. VV aus (OLG Köln AGS 2007, 344). Wird ein Anwalt zugleich mit dem Auftrag zur Erhebung des Widerspruches mit der Führung eines zu erwartenden Prozesses beauftragt, so sind die von ihm über die bloße Einlegung des Widerspruches hinaus entfalteten Tätigkeiten, die sinnvoll auf die Erfüllung des ihm erteilten Prozessauftrages abzielen, aus dem Blickwinkel des Kostenrechts jedenfalls dann dem Streitverfahren zuzurechnen, wenn die Streitsache in der Folgezeit bei dem Streitgericht anhängig geworden ist (vgl. OLG Köln JurBüro 2000, 77). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Antragsgegnerin hat dargelegt, ersteren unbedingt mit der Vertretung im Mahnverfahren und in einem ggf. nachfolgenden streitigen Verfahren beauftragt zu haben. Dem ist die Antragstellerin nicht entgegengetreten. Die Verfahrensgebühr ist daher bereits mit der ersten von dem Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin zur Erfüllung des Prozessauftrags entfalteten Tätigkeit, nämlich der Entgegennahme der Information zur Abwehr des von der Antragstellerin zunächst im Mahnverfahren geltend gemachten Anspruches angefallen. Da die Antragsgegnerin in dem Mahnverfahren nachfolgenden streitigen Verfahren vor Zugang der Antragsrücknahme keinen Sachantrag gestellt hat, vermindert sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV i.H.d. 1,3-fachen Satzes allerdings auf die 0,8-Gebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV.
IV. 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Wert der Kosten
Zusätzlich kann die Antragsgegnerin noch, wie vom LG bereits berücksichtigt, eine nach dem Wert bis zur Antragsrücknahme angefallenen Kosten zu berechnende 1,3-Verfahrensgebühr verlangen, die ihrem Prozessbevollmächtigten durch die Erwirkung des Kostenbeschlusses nach § 269 Abs. 3 ZPO erwachsen ist (KG JurBüro 2007, 307; OLG Hamm JurBüro 1989, 963; OLG Düsseldorf JurBüro 1982, 555; MDR 1983, 764).
V. Begrenzung nach § 15 Abs. 3 RVG
Diese Verfahrensgebühr der Nr. 3100 VV entsteht nach § 15 Abs. 3 RVG neben der Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV, ist jedoch dahingehend begrenzt, dass die aus dem Gesamtbetrag der Wertteile nach dem höchsten Gebührensatz berechnete Gebühr nicht überschritten werden darf.
VI. Zurückverweisung
Das OLG hat über die Festsetzung nicht selbst entschieden, sondern die Sache an das LG zurückverwiesen, damit dieses nach Maßgabe der rechtlichen Ausführungen die festzusetzenden Kosten unter Abzug anzurechnender Beträge selbst ermittelt und festsetzt.
VII. Bedeutung für die Praxis
1. Vergleichbare Problematik bei Klagerücknahme vor Klageabweisungsantrag
a) Problem
Das hier aufgeworfene Gebührenproblem kommt gewöhnlicherweise in anderer Konstellation vor, nämlich dergestalt, dass sich ein Anwalt für den Beklagten nach Klageerhebung zunächst nur bestel...