§ 51 RVG
Leitsatz
Zur Ablehnung einer Pauschgebühr in einem Staatsschutzverfahren mit u.a. 244 Bänden Akten und 45 Hauptverhandlungstagen.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 7.3.2024 – 2 ARs 10/22
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt war dem Angeklagten neben einer Rechtsanwältin als weiterer Pflichtverteidiger beigeordnet. Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten hat vom 16.6.2020 bis zum 28.1.2021 vor dem OLG Frankfurt an 45 Hauptverhandlungstagen stattgefunden. Das Urteil, mit dem der Angeklagte verurteilt worden ist, ist seit dem 25.8.2022 rechtskräftig.
Für seine Tätigkeit hat der Pflichtverteidiger aus der Staatskasse "an Gebühren und Auslagen" rund 41.000,00 EUR erhalten. Er ist der Auffassung, ihm stünde insgesamt ein Betrag i.H.v. rund 100.000,00 EUR incl. Umsatzsteuer an Pauschvergütung unter Anrechnung der gesetzlichen Gebühren zu. Hierzu hat er mit Schriftsatz vom 20.1.2022 vorgetragen, dass das Verfahren besonders umfangreich gewesen sei. Der Aktenbestand habe 244 Bände umfasst und sei während des Verfahrens weiter angewachsen. Das Verfahren sei umfangreicher gewesen als übliche Staatsschutzverfahren, was sich schon daraus ergebe, dass es anstatt der ursprünglich prognostizierten 32 Verhandlungstage schließlich 45 Verhandlungstage bis zur Urteilsfindung gedauert habe.
Auch inhaltlich sei das Verfahren schwierig gewesen, weil es um den Tatvorwurf der psychischen Beihilfe gegangen sei. Ferner sei es im vorliegenden Verfahren um den ersten rechtsradikalen Mord seit dem Anschlag auf Reichsaußenminister Rathenau im Jahr 1922 gegangen. Daher sei er gezwungen gewesen, das diesen betreffende Urteil des RG Leipzig, das in keinem gängigen Archiv aufbewahrt worden sei, auszuwerten. Er habe es erst nach mehreren Tagen Arbeitsaufwand aufgefunden.
Darüber hinaus seien viele Presseanfragen an den Antragsteller gerichtet worden. Auch sei es erforderlich gewesen, in zahlreichen Gerichtsverfahren gegen die aus Sicht des Antragstellers unfaire Berichterstattung durch Presse und die Veröffentlichungspraxis des BGH vorzugehen. Zudem habe er zwei Haftbesuche unternommen und eine "umfangreiche" Haftbeschwerde nebst Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Zudem habe ein Farbanschlag auf seine Kanzleiräume dazu geführt, dass ihm vom Hauseigentümer gekündigt worden sei. Auch die pp.-Bank habe ihre Geschäftsbeziehung mit ihm gekündigt. Schließlich sei gegen ihn so stark polemisiert worden, dass er aus dem örtlichen Karnevalsverein habe austreten müssen. Infolge des Prozesses sei er als gefährdete Person eingestuft worden und es seien durch die Polizei Sicherungsmaßnahmen an Kanzlei und Privathaus verstärkt worden.
Die "Bezirksrevisorin" hat mit Zuschrift vom 15.6.2023 zu dem Pauschantrag Stellung genommen. Sie ist der Ansicht gewesen, dem Pflichtverteidiger stünde wegen des Farbanschlags auf die Kanzleiräume und des damit verbundenen Aufwands umzuziehen eine Pauschvergütung i.H.v. 5.000,00 EUR zu. Das OLG hat den Antrag abgelehnt.
II. Allgemeine Kriterien des § 51 RVG
Das OLG verweist (noch einmal) darauf, dass der Anwendungsbereich der Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG gegenüber § 99 BRAGO erheblich eingeschränkt ist (s. u.a. OLG Frankfurt, Beschl. v. 14.12.2005 – 2 ARs 154/05, NJW 2006, 457 = RVGreport 2006, 145). Nach dem derzeit geltenden Recht sei eine Pauschgebühr nur noch zu bewilligen, wenn die im Vergütungsverzeichnis bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache nicht zumutbar seien. Diese Einschränkung sei nach der amtlichen Begründung (vgl. BT-Drucks 15/1971, 203) gerechtfertigt, weil in das Gebührenverzeichnis zum RVG neue Gebührentatbestände aufgenommen worden seien, bei denen die zugrundeliegenden Tätigkeiten in der Vergangenheit häufig bei der Bewilligung einer Pauschgebühr berücksichtigt worden seien. Voraussetzung für die Bewilligung einer Pauschvergütung sei nach dem Gesetzeswortlaut, dass die gesetzlichen Gebühren unzumutbar seien. Damit solle verhindert werden, dass der Pflichtverteidiger bzw. der beigeordnete Rechtsanwalt ein Sonderopfer erbringen. Dazu verweist das OLG auf die Entscheidung des BVerfG (Beschl. v. 6.11.1984 – 2 BvL 16/83 u.a., NJW 1985, 727). Dessen Grundsätze gelten – so das OLG – auch für das derzeitige Recht (vgl. BVerfG NJW 2005, 1264; 2005, 3699). Sinn und Zweck der Pauschgebühr sei es danach nicht, dem Verteidiger bzw. dem beigeordneten Rechtsanwalt einen zusätzlichen Gewinn zu verschaffen; sie solle nur eine unzumutbare Benachteiligung verhindern (so auch Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl., 2023, § 51 RVG Rn 3). Die Bewilligung einer Pauschgebühr komme nach alledem nur noch in Ausnahmefällen in Betracht. Dies sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Beschl. v. 20.3.2007 – 2 BvR 51/07, NJW 2007, 3420 = AGS 2007, 504).
III. Die Umstände des vorliegenden Falls
Gemessen an diesen Vorgaben war nach Auffassung des OLG eine Pauschgebühr nicht zu bewilligen. Wie der "Bezirksrevisor" zutreffend in seiner Stellungnahme ausführe, lägen insbesondere angesichts der festgesetzten Vergütung i.H.v. von rund 41.000,00 EUR die Voraussetzungen für die Bew...