§§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 4 S. 1 GKG
Leitsatz
Lässt ein Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zu, obwohl diese nicht statthaft ist, und wird diese Rechtsbeschwerde sodann eingelegt, ist diese in eine weitere Beschwerde umzudeuten, sofern die Verfahrensordnung eine solche weitere Beschwerde vorsieht.
BGH, Beschl. v. 7.12.2023 – V ZB 61/23
I. Sachverhalt
Das LG Berlin hatte über eine Streitwertbeschwerde entschieden und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Diese Rechtsbeschwerde hat die die Beschwerdeführerin mit dem Ziel der Erhöhung der Streitwertfestsetzung eingelegt und gleichzeitig die Abgabe der Sache an das KG beantragt. Der BGH hat die Rechtsbeschwerde für unstatthaft erklärt und die Sache als weitere Beschwerde an das KG abgegeben.
II. Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde
1. Keine Rechtsbeschwerde
Gem. § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i.V.m. §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 4 S. 1 GKG findet gegen die Beschwerdeentscheidung eines LG nicht die Rechtsbeschwerde zum BGH statt, sondern – bei erfolgter Zulassung – die weitere Beschwerde zum OLG (BGH, Beschl. v. 19.1.2021 – II ZB 31/20).
2. Zulassung bindet nicht
Eine im Gesetz nicht vorgesehene Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das LG bindet den BGH nicht. Die Bindungswirkung des § 574 Abs. 3 S. 2 ZPO tritt nur hinsichtlich des Vorliegens eines Zulassungsgrundes nach § 574 Abs. 2 ZPO ein. Sie eröffnet aber nicht ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel (BGH NJW 2018, 1606).
3. Umdeutung in weitere Beschwerde
Die Rechtsbeschwerde ist mit Rücksicht darauf, dass gegen die Beschwerdeentscheidung des LG – entgegen der im Tenor erfolgten Zulassung – nur die weitere Beschwerde zum KG statthaft ist, allerdings nicht als unzulässig zu verwerfen, sondern in eine weitere Beschwerde umzudeuten. Bei Rechtsmittelerklärungen ist eine Umdeutung unter der Voraussetzung zulässig, dass es sich um vergleichbare Prozesserklärungen handelt, die sich in ihrer Intention und rechtlichen Wirkung entsprechen. So verhält es sich hier. Die weitere Beschwerde zielt ebenso wie die Rechtsbeschwerde auf eine Änderung der Beschwerdeentscheidung des LG durch ein übergeordnetes Gericht; die weitere Beschwerde setzt zudem wie die Rechtsbeschwerde voraus, dass das LG die Beschwerde – wie hier in den Gründen des Beschlusses – wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Fragen zugelassen hat (BGH NJW-RR 2009, 424 = AGS 2009, 193; NJW-RR 2013, 1081 = AGS 2013, 194; Beschl. v. 7.12.2023 – V ZB 61/23; NJW 2018, 1606; Beschl. v. 19.1.2021 – II ZB 31/20).
4. Niederschlagung der Gerichtsgebühr im Rechtsbeschwerdeverfahren
Aufgrund der unrichtigen Sachbehandlung durch das LG ist hinsichtlich der im Rechtsbeschwerdeverfahren angefallenen Gerichtsgebühr gem. § 21 Abs. 1 GKG anzuordnen, dass diese nicht erhoben wird.
III. Bedeutung für die Praxis
Es ist schon erstaunlich, dass ein Beschwerdegericht nicht weiß, welches Rechtsmittel gegen seine Entscheidung eröffnet ist. Dass Streitwertfragen nicht vor den BGH gebracht werden können, müsste zwischenzeitlich bekannt sein.
Wird – wie hier – die Rechtsbeschwerde anstelle der weiteren Beschwerde zugelassen, kann der Anwalt – wie hier – die Rechtsbeschwerde einlegen und die Abgabe beantragen. Fraglich ist allerdings, ob die Rechtsbeschwerde beim BGH die Beschwerdefrist wahrt. Daher sollte der Anwalt zumindest auch das Gericht der weiteren Beschwerde anrufen und dort die weitere Beschwerde einlegen. Eine Berichtigung des Beschwerdebeschlusses wird in der Regel nicht in Betracht kommen, da ein Rechtsirrtum des Gerichts kein Berichtigungsgrund ist.
Es fragt sich allerdings, wieso der BGH an das KG abgegeben hat. Die weitere Beschwerde ist gem. § 68 Abs. 1 S. 5 i.V.m. § 66 Abs. 5 S. 5 GKG beim Gericht einzulegen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das war hier das LG. Dieses Gericht muss zunächst gem. § 68 Abs. 1 S. 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 S. 1 GKG darüber entscheiden, ob es der weiteren Beschwerde abhilft. Nur dann, wenn es nicht abhilft, hat es dem OLG – hier dem KG – vorzulegen.
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen
AGS 6/2024, S. 285 - 286