RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4, Nr. 2300; BerHG § 4; ZPO § 122
Leitsatz
- Die Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV erfolgt auch dann, wenn zwar bei der Partei die finanziellen Voraussetzungen einer Beratungshilfe gegeben waren, das außergerichtliche Mandatsverhältnis aber nicht auf der Basis von Beratungshilfe geführt wurde.
- Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr bei Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung.
AG Lahr, Beschl. v. 9.2.2009–5 C 254/07
1 Sachverhalt
Dem Kläger wurde mit Beschluss des AG Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und der Erinnerungsführer beigeordnet. Dieser beantragte später die Festsetzung u.a. einer 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV nach der Tabelle in § 49 RVG. Die Rechtspflegerin setzte die Gebühr unter Abzug einer halben Geschäftsgebühr nach der Tabelle des § 49 Abs. 1 RVG.
Die hiergegen erhobene Erinnerung hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Der Erinnerungsführer stützt seine Auffassung, dass eine Anrechnung nicht zu erfolgen habe, im Wesentlichen auf die Entscheidung des OLG Stuttgarts v. 15.1.2008–8 WF 5/08. Insoweit ist festzustellen, dass der 8. Senat des OLG Stuttgart im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des BGH v. 22.1.2008 – VIII ZB 57/07, in der der BGH seine Auffassungen zu Anrechnung einer vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr bekräftigt hat, seine ursprünglichen Ansichten modifiziert hat (OLG Stuttgart, Beschl. v. 13.1.2009–8 WF 211/08).
1. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr scheidet nicht aus dem Grunde aus, dass die Geschäftsgebühr wegen der Möglichkeit der Beantragung von Beratungshilfe nicht angefallen ist.
Der Anfall einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV ist ausgeschlossen, wenn der Partei für die vorgerichtliche Vertretung Beratungshilfe bewilligt wurde. Eine Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV setzt den Anfall einer Geschäftsgebühr voraus, so dass nur eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2503 VV zur Anrechnung kommt (vgl. dazu Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 27.11.2008–13 OA 190/08, entgegen OLG Schleswig, Beschl. v. 11.3.2008–15 WF 356/07).
Im vorliegenden Fall ist es nicht ersichtlich, dass die vorgerichtliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Rahmen von Beratungshilfe erfolgte. Allerdings legen die im Rahmen des Beratungshilfeverfahrens vorgelegten Unterlagen den Schluss nahe, dass die Voraussetzungen einer Beratungshilfebewilligung bei dem Kläger bereits bei der vorgerichtlichen anwaltlichen Tätigkeit vorlagen.
Das Gericht folgt nicht der von dem OLG Stuttgart (Beschl. v. 13.1.2009–8 WF 5/08) vertretenen Ansicht, dass bereits bei Vorliegen von Anhaltspunkten, dass der Rechtsuchende zu den zur Gewährung von Beratungshilfe Berechtigten gehören könnte, allenfalls eine hälftige Gebühr nach Nr. 2503 VV abzuziehen ist.
Es trifft zwar zu, dass ein Anwalt gehalten ist, sofern er Anhaltspunkte dafür hat, dass der Rechtsuchende zum Kreis der nach BerHG Berechtigten gehört, den Rechtsuchenden auf die Möglichkeit von Beratungshilfe hinzuweisen. Ebenso ist es zutreffend, dass nach § 4 Abs. 2 S. 4 BerHG ein Antrag auf Gewährung von Beratungshilfe auch nachträglich gestellt werden kann, wenn sich der Rechtsuchende wegen Beratungshilfe unmittelbar an einen Rechtsanwalt gewendet hatte. Nach der Rspr. dieses Gerichtes im Bereich der Beratungshilfe setzt allerdings ein solcher nachträglicher Antrag voraus, dass sich der Rechtsuchende wegen Beratungshilfe an den Rechtsanwalt gewandt hatte. Ist der vorprozessuale Auftrag beendet (zum Beispiel durch Klageerhebung) und wurde das Mandatsverhältnis nicht auf der Grundlage von Beratungshilfe nach dem BerHG durchgeführt, so kann auch nachträglich keine Beratungshilfe mehr gewährt werden. In einem solchen Fall fällt grundsätzlich die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV an (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.1.2009 – I-10 W 120/08). Dabei kann sich natürlich die Frage stellen, ob sich der Mandant gegenüber seinem Anwalt auf eine Pflichtwidrigkeit berufen kann, was möglicherweise eine rechtsvernichtende Einwendung gegenüber der vorgerichtlichen Gebührenforderung des Rechtsanwaltes darstellen könnte. Dies betrifft allerdings nur das Innenverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten. In dem formellen Vergütungsfestsetzungsverfahren ist dieser Fragestellung nicht nachzugehen.
2. Die Anrechnung im Rahmen der Vergütungsfestsetzung nach § 55 RVG hängt nicht davon ab, ob der Rechtsanwalt die anrechenbare zweite Hälfte der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr erhalten hat. Für die nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV erfolgende Kürzung der Verfahrensgebühr ist es nicht maßgeblich, ob es dem im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordneten Anwalt gelingt, seinen Vergütungsanspruch hinsichtlich der Geschäftsgebühr gegenüber dem Mandanten oder dem Gegner zu realisieren.
Der Rechtsanwalt ist insoweit nicht schutzwürdig. Einem entsprechenden Ausfallrisiko kann er dadurch entgehen, dass er seinen Mandanten zur Vorschusszahlung aufford...