RVG VV Nrn. 3200, 3201

Leitsatz

  1. Für die Geltendmachung einer Gebühr nach Nrn. 3200, 3201 VV im Kostenfestsetzungsverfahren bedarf es jedenfalls dann keines substantiierten Vortrages und keiner Glaubhaftmachung der Erteilung eines Auftrages zur Erbringung anwaltlicher Leistungen in zweiter Instanz, wenn die Auftragserteilung nicht bestritten wird und der Rechtsanwalt bereits in erster Instanz für seinen Mandanten tätig war und einen positiven Prozessausgang erstritten hat.
  2. Nimmt der Prozessbevollmächtigte eine gegen seinen Mandanten gerichtete Rechtsmittelschrift entgegen, ist anzunehmen, dass er anschließend prüft, ob etwas für den Mandanten zu veranlassen ist. Damit entfaltet er eine Tätigkeit, die die Gebühr nach Nrn. 3200, 3201 VV zum Entstehen bringt; die Einreichung eines Schriftsatzes ist hierfür nicht erforderlich. Zugleich liegt in dieser Tätigkeit keine bloße Neben- bzw. Abwicklungstätigkeit der erstinstanzlichen Beauftragung gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG.
  3. Die Beauftragung eines Rechtsanwaltes durch den Berufungsbeklagten zur Erbringung anwaltlicher Leistungen im Berufungsverfahren ist regelmäßig schon ab dem Zeitpunkt der Zustellung der Berufungsschrift notwendig, und zwar selbst dann, wenn sie ohne Begründung versehen ist und ausdrücklich nur zur Fristwahrung eingelegt wurde.

KG, Beschl. v. 21.1.2009–2 W 57/08

1 Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin hatte gegen ein sie erstinstanzlich verurteilendes Urteil des LG Berufung eingelegt. Die Berufung wurde der schon erstinstanzlich für den Kläger tätigen Prozessbevollmächtigten zugestellt und sodann noch vor Einreichung einer Berufungsbegründung sowie noch vor Einreichung eines Meldeschriftsatzes der klägerischen Prozessbevollmächtigten zurückgenommen. Nach Erlass des Kostenbeschlusses durch das Berufungsgericht gem. § 516 Abs. 3 ZPO setzte das LG zugunsten des Klägers eine 1,1-Gebühr gem. Nrn. 3200, 3201 VV für das Tätigwerden der klägerischen Prozessbevollmächtigten im Berufungsverfahren fest. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde, mit der geltend gemacht wird, die Anwaltskosten des Klägers im Berufungsverfahren seien keine notwendige Kosten i.S.v. § 91 ZPO, weil die Berufung noch vor dem Einreichen einer Begründung zurückgenommen worden sei.

Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.

2 Aus den Gründen

a)  Dem Kläger sind Kosten in Höhe einer 1,1-Gebühr gem. Nr. 3201 VV entstanden.

aa)  Der Senat hat davon auszugehen, dass die klägerische Prozessbevollmächtigte mit der Erbringung anwaltlicher Leistungen in zweiter Instanz vom Kläger beauftragt wurde.

Dies ist zwischen den Parteien nicht streitig und liegt im Übrigen nahe, weil der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte in aller Regel, zumal wenn er – wie vorliegend – für seinen Mandanten einen positiven Prozessausgang in erster Instanz erstritten hat, auch zweitinstanzlich beauftragt wird. Auf die in der obergerichtlichen Rspr. diskutierte Frage, ob im Falle bestrittener Auftragserteilung vermutet wird, dass der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte ab Zustellung der Berufungsschrift mit der Interessenwahrnehmung in zweiter Instanz beauftragt wurde (so OLG Koblenz, Beschl. v. 6.8.2007–14 W 578/07, OLGR 2008, 284), oder der Berufungsbeklagte dies gesondert glaubhaft zu machen hat (so vormals, aber nunmehr offenbar überholt OLG Koblenz, Beschl. v. 7.11.2006–14 W 626/06, OLGR 2007, 146; hierzu wohl ebenfalls neigend KG, 27. Zivilsenat, Beschl. v. 22.9.2005–27 W 180/05, OLGR 2006, 413 [413]), kommt es daher vorliegend nicht an.

bb)  Die klägerische Prozessbevollmächtigte begann auftragsgemäß tätig zu werden und brachte damit die Gebühr der Nr. 3201 VV zum Entstehen (vgl. Hartmann, KostG, 37. Aufl. 2007, VV 3100 Rn 13).

Denn hierfür genügte nach der Rspr. des BGH die Entgegennahme der Rechtsmittelschrift durch die klägerische Prozessbevollmächtigte, weil anzunehmen ist, dass sie anschließend prüfte, ob etwas für ihren Mandanten zu veranlassen war; die Einreichung eines Schriftsatzes war nicht erforderlich (Beschl. v. 6.4.2005 – V ZB 25/04, BGHR 2005, 2233; im Ergebnis ebenso KG, 1. Zivilsenat, Beschl. v. 9.5.2005–1 W 20/05, KGR 2005, 684; a.A. KG, 27. Zivilsenat, Beschl. v. 22.9.2005–27 W 180/05, KGR 2006, 413 [413], jedoch ohne Auseinandersetzung mit BGHR 2005, 2233; a.A. offenbar ebenfalls OLG Koblenz, Beschl. v. 7.11.2006, a.a.O., jedoch ebenfalls ohne Auseinandersetzung mit BGHR 2005, 2233).

Auch war die Entgegennahme der Rechtsmittelschrift und die hierdurch ausgelöste anwaltliche Prüftätigkeit keine bloße Neben- bzw. Abwicklungstätigkeit der erstinstanzlichen Beauftragung gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 1. Alt. RVG. Dies hat der BGH für die Vorgängernorm des § 19 Abs. 1 RVG, den § 37 Nr. 7, 1. Alt. BRAGO, entschieden (ausdrücklich in Beschl. v. 17.12.2002 – X ZB 9/02, BGHR 2003, 412; stillschweigend in Beschl. v. 6.4.2005 – V ZB 25/04, BGHR 2005, 1150). Da § 37 Nr. 7, 1. Alt. BRAGO einen mit § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9, 1. Alt. RVG identischen Wortlaut hat, muss diese Rspr. für § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9, 1. Alt. RVG gleichermaßen gelten (im Ergebnis ebens...

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