RVG VV Nrn. 3200, 3201
Leitsatz
Eine Verfahrensgebühr für den Anwalt des Berufungsverfahrens kommt nur dann in Betracht, wenn der Anwalt auch eine Tätigkeit im Hinblick auf das Berufungsverfahren entfaltet. Die bloße Übersendung der Rechtsmittelschrift an die Mandantschaft reicht dazu nicht aus.
LG Trier, Beschl. v. 18.3 2010–2 T 50/10
Sachverhalt
Gegen das amtsgerichtliche Urteil hatte der Kläger Berufung eingelegt. Dieser Schriftsatz wurde der Beklagten zugestellt. Nach gewährter Fristverlängerung für die Berufungsbegründung wurde die Berufung dann später vom Kläger zurückgenommen.
Mit ihrem Kostenfestsetzungsantrag begehrte die Beklagte hiernach die Festsetzung einer 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV.
Diesem Antrag hat das AG stattgegeben. Dagegen wendet sich der Kläger mit der sofortigen Beschwerde. Er führt aus, eine Verfahrensgebühr sei nicht angefallen, da die Beklagtenvertreter im Berufungsverfahren keine Tätigkeit entfaltet hätten. Insbesondere habe im vorliegenden Berufungsverfahren weder eine Bestellung, geschweige denn ein Sachantrag vorgelegen.
Die sofortige Beschwerde hatte Erfolg.
Aus den Gründen
Die Beklagte ist nicht berechtigt, eine 1,1-Verfahrensgebühr festsetzen zu lassen. Nach den Angaben der Beklagtenvertreter waren sie für das Berufungsverfahren mandatiert. Dem hat der Kläger zuletzt nicht widersprochen. Zudem hat der Beklagtenvertreter dargelegt, dass eine Unterrichtung der Beklagten über die eingelegte Berufung erfolgt und die zugestellte Berufungsschrift übersandt worden sei. Weitere Tätigkeiten – wie etwa weitere Recherchen oder ein Beratungsgespräch mit der Beklagten über die Reaktion auf die Berufung – wurden nicht dargetan und waren in Ermangelung einer Berufungsbegründung auch noch nicht angezeigt. Schriftsätze wurden nicht gefertigt, insbesondere kein Sachantrag gestellt.
Nach Auffassung der Kammer ist in diesem Fall keine zur zweiten Instanz gehörende Tätigkeit entfaltet worden.
Grundsätzlich besteht in Lit. und Rspr. Uneinigkeit darüber, wann eine zur zweiten Instanz gehörige und damit Gebühr nach Nrn. 3200, 3201 VV auslösende Befassung der Sache anzunehmen ist (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 18. Aufl., Nr. 3200 Rn 16 ff. und § 19 Rn 95 ff. m. w. Nachw.)
Die Aussage, dass dies bereits mit der "Entgegennahme der Information" der Fall sein soll, ist insoweit irreführend, da hiermit die bloße Entgegennahme der Berufungsschrift nicht gemeint sein kann. Diese ist gem. § 19 Abs. 1 Nr. 9 RVG ausdrücklich als Teil der vorausgegangenen Instanz benannt. Hierzu gehört nach Auffassung des Gerichts auch die Übersendung der Rechtsmittelschrift an die Mandantschaft.
Weitere Tätigkeiten werden vorliegend beklagtenseits nicht dargetan. Zwar lag eine Mandatierung für die Berufungsinstanz vor, jedoch führt allein die Mandatierung ohne weiteres Tätigwerden bzw. ohne weitere Beschäftigung mit der Sache nicht zum Entstehen der Verfahrensgebühr.
Da vorliegend die Berufungsschrift keine – als Zulässigkeitsvoraussetzung notwendige – Begründung enthielt (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe) RVG, 18. Aufl. § 19 Rn 102 a.E.). somit ein weiteres Handeln beklagtenseits noch nicht veranlasst worden und demgemäß auch tatsächlich weder eine weitere Beschäftigung mit der Sache erfolgt noch Stellungnahmen gefertigt wurden, ist keine zur Berufungsinstanz gehörende Tätigkeit geführt worden.
Die 1,1-Verfahrensgebühr gem. Nrn. 3200, 3201 VV ist nicht entstanden.
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ludwig Kratz jun., Sirzenich
Anmerkung
Zweckmäßig ist es, sich immer sofort zu bestellen, um seinen Auftrag und seine Tätigkeit aktenkundig zu machen.
Darüber hinaus sollte auch sofort der Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels gestellt werden. Die dadurch entstehenden Mehrkosten (1,6-Gebühr nach Nr. 3200 VV anstatt 1,1-Gebühr nach Nrn. 3200, 3210 VV) sind zwar nicht erstattungsfähig, wenn das Rechtsmittel zurückgenommen wird. Der Anwalt weist damit aber seine Tätigkeit im Rechtsmittelverfahren nach. Zudem wird der Antrag kostenerstattungsrechtlich wirksam, sobald das Rechtsmittel begründet wird.
Norbert Schneider