Bislang galt es als einhellige Auffassung und gesicherte Erkenntnis, dass auch Kostenfestsetzungsbeschlüsse in Rechtskraft erwachsen. Dies hatte der BGH zuletzt mehrfach bestätigt.[1] Die Rechtskraft eines Kostenfestsetzungsbeschlusses hatte danach bislang zur Folge, dass zu Unrecht festgesetzte Kosten zu zahlen waren und zu Unrecht abgesetzte Kostenpositionen nicht mehr anderweitig eingefordert werden konnten. Im Sinne des Rechtsfriedens waren fehlerhafte Entscheidungen hinzunehmen. Eine Durchbrechung der Rechtskraft kam auch hier nur unter den Voraussetzungen des § 826 ZPO in Betracht.

In einer wenig beachteten Entscheidung (S. 316 in diesem Heft) hat der BGH diese Grundsätze ohne weitere Begründung über Bord geworfen.

In dem zugrunde liegenden Fall hatte der Antragsteller eines einstweiligen Verfügungsverfahrens aufgrund des Anordnungsbeschlusses und auch aufgrund des nach Widerspruch bestätigenden Urteils die Verfahrensgebühr der Nr. 3100 VV sowohl für das Anordnungsverfahren als auch das anschließende Widerspruchsverfahren gesondert festsetzen lassen, obwohl die Verfahrensgebühr nach § 16 Nr. 5 RVG im Anordnungs- und Widerspruchsverfahren nur ein einziges Mal angefallen war und nur ein einziges Mal zur Festsetzung hätte angemeldet werden dürfen. Dem Antragsgegner war dies offenbar während des Festsetzungsverfahren nicht aufgefallen, ebensowenig dem Rechtspfleger, sodass antragsgemäß festgesetzt wurde und beide Kostenfestsetzungsbeschlüsse mangels sofortiger Beschwerde rechtskräftig wurden. Nachdem der Antragsgegner beide Gebühren dann auch noch erstattet hatte, bemerkte er schließlich, dass er letztlich zuviel gezahlt hatte, und verlangte die Überzahlung zurück. Mit seinem vermeintlichen Rückzahlungsanspruch erklärte er die Aufrechnung gegen noch ausstehende weitere Forderungen des Antragsgegners.

Nach allgemeinen Grundsätzen hätte man einen Rückzahlungsanspruch des Antragsgegners verneinen müssen, da die Gebühr – wenn auch zu Unrecht – zweimal rechtskräftig festgesetzt worden war und ein Fall des § 826 BGB nicht vorlag.

Der BGH hat hier kurzerhand einen Schadensersatzanspruch nach § 280 BGB konstruiert, den er über die Rechtskraft stellt.

Er geht davon aus, dass zwischen den Parteien ein Schuldverhältnis bestand, nämlich ein Prozessrechtsverhältnis. Kraft dieses Prozessrechtsverhältnisses habe die allgemeine Pflicht bestanden, keine Kosten geltend zu machen, die nicht entstanden seien. Dagegen habe der Antragsteller verstoßen. Sein Verschulden werde vermutet. Folglich müsse er die zuviel vereinnahmten Beträge zurückerstatten.

Das bedeutet nun Folgendes:

Ausgehend von der Rspr. des BGH besteht in jedem Rechtsstreit aufgrund des Prozessrechtsverhältnisses ein Schuldverhältnis zwischen den Parteien.
In jedem Prozess gilt danach die Verpflichtung, den Gegner nicht mit Kosten zu belasten, die nicht entstanden sind.
In jedem Prozess ist das Verschulden eines gegen diese Regel Verstoßenden zu vermuten.
Ergo kann künftig jede vermeintlich unberechtigte Kostenfestsetzung über einen Schadenersatzanspruch zu Fall gebracht werden.

Ein Mitverschulden braucht der Antragsgegner – jedenfalls nach der Rspr. des BGH – nicht zu befürchten. Darauf ist der BGH in seiner Entscheidung erst gar nicht eingegangen. Wieso der Antragsgegner im Kostenfestsetzungsverfahren nicht bereits eingewandt hat, dass die Gebühr doppelt angemeldet werde und wieso er auch nicht von seinem Recht der sofortigen Beschwerde nach §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 ZPO Gebrauch gemacht und damit die unberechtigte Festsetzung verhindert hat, war nicht nachzuvollziehen. Der BGH ist darauf auch gar nicht erst eingegangen.

Damit hat der BGH eine Büchse der Pandora geöffnet. Die Auswirkungen sind noch gar nicht absehbar.

Ein Kostenerstattungspflichtiger braucht künftig also gar nicht mehr Erinnerungen und Beschwerden gegen unberechtigte Kostenfestsetzungsbeschlüsse einzulegen und den mühsamen Gang durch die Kostenfestsetzungsinstanzen gehen. Er kann vielmehr sehenden Auges eine unzutreffende Kostenfestsetzung gegen sich ergehen und dann im Nachhinein in einem neuen Erkenntnisverfahren diese Festsetzung im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs überprüfen lassen.

Norbert Schneider

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