RVG §§ 15, 16 Nr. 4, 33, 44, 55
Leitsatz
- Im Verfahren auf Festsetzung der Vergütung eines Beratungshilfe gewährenden Rechtsanwalts kommt es für die Entscheidung, ob mehrere Tätigkeiten als eine Angelegenheit anzusehen sind, nicht darauf an, ob ein oder mehrere Berechtigungsscheine erteilt worden sind.
- Für die Abgrenzung der erforderlichen anwaltlichen Tätigkeiten in einer familienrechtlichen Auseinandersetzung ist zu unterscheiden zwischen Streitgegenständen einer (u.U. vorübergehenden) Trennung und einer (endgültigen) Beendigung der Ehe bzw. Lebenspartnerschaft.
- Ausgehend von den im Rahmen der Gewährung von Beratungshilfe zu berücksichtigenden Lebenssachverhalten, deren Abgrenzbarkeit untereinander und den jeweils angesprochenen Tätigkeitsfeldern des Anwalts wird es im Regelfall angemessen sein, zwischen folgenden bis zu sechs verschiedenen beratungshilferechtlichen Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Beendigung der Ehe zu unterscheiden:
- Ehesachen i.S.v. §§ 111 Nr. 1, 121 FamFG,
- Kindschaftssachen i.S.v. §§ 111 Nr. 2, 151 FamFG (gegebenenfalls auch §§ 111 Nr. 10 i.V.m. 266 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 FamFG),
- Ehewohnungs- und Haushaltssachen i.S.v. §§ 111 Nr. 5, 200 FamFG,
- Versorgungsausgleichssachen i.S.v. §§ 111 Nr. 7, 217 FamFG,
- Unterhaltssachen i.S.v. §§ 111 Nr. 8, 231 FamFG (d.h. sowohl Kindes- als auch Ehegattenunterhalt) sowie
- Güterrecht i.S.v. §§ 111 Nr. 9, 261 FamFG und sonstige Vermögensauseinandersetzungen (gegebenenfalls auch §§ 111 Nr. 10 i.V.m. 266 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 FamFG).
OLG Naumburg, Beschl. v. 28.3.2013 – 2 W 25/13
1 Sachverhalt
Der Rechtsuchenden ist durch Berechtigungsschein des AG Beratungshilfe für die "Trennung, gegebenenfalls Ehescheidung nebst Trennungsfolgen" bewilligt worden. Die Beratungshilfe ist durch den Antragsteller in der Zeit vom 2.4. bis 14.5.2012 gewährt worden. Der Antragsteller hat mit drei Anträgen jeweils vom 14.5.2012 die Festsetzung seiner Vergütung beim AG beantragt, und zwar in den Angelegenheiten "Ehescheidung", "Unterhalt" und "Ehewohnung + Hausrat" jeweils in Höhe von 35,70 EUR.
Nach Anhörung der Landeskasse und abschließender Anhörung des Antragstellers hat der Rechtspfleger des AG die dem Antragsteller aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 107,10 EUR festgesetzt. Er hat die Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass es sich bei Ehescheidung und deren Folgesachen nicht um dieselbe Angelegenheit im vergütungsrechtlichen Sinne handele, weil diese Beratungsgegenstände zwar einen gemeinsamen Auslöser hätten, zwischen den einzelnen Ansprüchen der Rechtssuchenden jedoch kein innerer Zusammenhang bestehe.
Hiergegen hat sich die Landeskasse mit ihrer Erinnerung gewandt; die Erinnerung ist vom AG zurückgewiesen worden. Auf eine von der Landeskasse erhobene Zulassungsbeschwerde hat der Einzelrichter des LG das Verfahren wegen der grundsätzlichen Bedeutung auf die Kammer übertragen. Die Kammer hat das Rechtsmittel der Landeskasse als unbegründet zurückgewiesen, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Rechtsfrage jedoch die weitere Beschwerde zugelassen.
Die Landeskasse wendet sich mit ihrer weiteren Beschwerde gegen eine höhere Festsetzung als 35,70 EUR. Sie wiederholt und vertieft ihre Rechtsauffassung, wonach sich der Begriff der "Angelegenheit" i.S. des Beratungshilfegesetzes rechtseinheitlich an diesem Begriff in §§ 15 ff. RVG zu orientieren habe, weshalb hier lediglich eine einzige Angelegenheit vorliege.
Das LG Magdeburg hat der weiteren Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem Senat vorgelegt.
2 Aus den Gründen
Die weitere Beschwerde der Landeskasse ist kraft Zulassung nach §§ 55 Abs. 4, 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. 33 Abs. 6 RVG zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg; die angefochtene Entscheidung des LG Magdeburg beruht nicht auf einer Verletzung des Rechts i.S.v. §§ 546, 547 ZPO analog. Insbesondere weist die Festsetzung der Gebühren zugunsten des Antragstellers für erbrachte Beratungshilfe in drei selbstständigen Angelegenheiten keinen Rechtsfehler auf.
I. Die Beantwortung der Frage, in welchem Umfange dem Beratungshilfe gewährenden Rechtsanwalt Gebührenansprüche erwachsen, hängt von der Auslegung des Begriffes der "Angelegenheiten" in § 2 Abs. 2 BerHG ab.
1. Das Gebührenrecht des RVG regelt unmittelbar nur die Höhe einer einzelnen Gebühr und deren Abgeltungsumfang.
Nach § 44 S. 1 RVG erhält der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe eine Vergütung von der Staatskasse in Höhe der nach § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Anlage 1, Teil 2, Abschnitt 5 VV (Nr. 2500 bis 2508) vorgesehenen Gebühr. Die Gebühr ist in den vorgenannten Vorschriften als Pauschalbetrag, unabhängig vom Wert des bzw. der Gegenstände der Beratung, geregelt. Nach § 15 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 RVG entgilt die nur einmal anfallende Gebühr die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung in einer bestimmten Angelegenheit.
2. Voraussetzung für den Vergütungsanspruch ist die Erteilung eines Berechtigungsscheins außerhalb eines gerichtlichen Verfah...