RVG §§ 15a, 58
Leitsatz
- Der Wirkzeitraum der Prozesskostenhilfe hat die Bedeutung eines Einzelfallkriteriums, das bei der im Rahmen des § 14 RVG vorzunehmenden Gesamtabwägung aller Umstände angemessen zu berücksichtigen ist.
- Die Staatskasse kann sich nicht auf eine direkte Anrechnung gem. der Vorbem. 3 Abs. 4 VV berufen und von der von ihr geforderten Verfahrensgebühr aufgrund von § 15a Abs. 1 RVG die hälftige Geschäftsgebühr in Abzug bringen, denn § 15a Abs. 1 RVG enthält eine solche Anrechnungsregelung nicht.
- Für die Staatskasse tritt bei regelgerechter Anrechnung gem. § 58 Abs. 2 RVG das gleiche Gesamtergebnis ein, welches der Auftraggeber über § 15a Abs. 1 RVG erreicht.
Hessisches LSG, Beschl. v. 13.5.2019 – L 2 AS 241/18 B
1 Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus Prozesskostenhilfe (PKH) festzusetzenden Rechtsanwaltsvergütung.
Im Ausgangsverfahren begehrte der Kläger vor dem SG die Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB II. Streitig war in diesem Zusammenhang das Vorliegen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zu einer Mitbewohnerin des Klägers. Nach Vorlage einer Klagebegründung übersandte die Beklagte einen Teilabhilfebescheid, durch welchen ab dem 1.6.2014 höhere Leistungen (höherer Regelbedarf) gewährt wurden. Das Klageverfahren endete durch gerichtlichen Vergleichsbeschluss, wonach die Beklagte dem Kläger 38,50 EUR zahlt, damit das Klageverfahren erledigt ist und die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zur Hälfte trägt.
Das SG bewilligte dem Kläger PKH unter Beiordnung des Beschwerdeführers ab dem 19.11.2015.
Mit Schriftsatz v. 3.8.2016 machte der Beschwerdeführer folgende Gebühren zur Festsetzung gegenüber der Beklagten geltend:
I. Vorverfahren |
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Geschäftsgebühr, §§ 2, 13 RVG, Nr. 2302 VV |
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300,00 EUR |
Post- und Telekommunikationspauschale, Nrn. 7001/7002 VV |
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20,00 EUR |
Zwischensumme netto |
320,00 EUR |
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19 % USt., Nr. 7008 VV |
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60,80 EUR |
Gesamtbetrag |
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380,80 EUR |
II. Klageverfahren |
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Verfahrensgebühr, §§ 3, 14 RVG, Nr. 3102 VV |
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300,00 EUR |
Anrechnung Geschäftsgebühr |
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– 75,00 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV |
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270,00 EUR |
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV |
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300,00 EUR |
Post- und Telekommunikationspauschale, Nrn. 7001/7002 VV |
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20,00 EUR |
Dokumentenpauschale, 23 Kopien, Nr. 7000 Nr. 1a VV |
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11,50 EUR |
Zwischensumme netto |
826,50 EUR |
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19 % USt., Nr. 7008 VV |
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157,04 EUR |
Gesamtbetrag |
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983,54 EUR |
Gesamtbetrag I. und II. |
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1.364,30 EUR |
hiervon zu erstatten (1/2) |
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682,17 EUR |
Die Beklagte teilte mit, dass die geltend gemachten Kosten gezahlt worden seien.
Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin die Festsetzung der Gebühren aus PKH i.H.v. 491,77 EUR. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle kürzte die Gebührenrechnung wie folgt:
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV |
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210,00 EUR |
Anrechnung Geschäftsgebühr |
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– 75,00 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV |
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189,00 EUR |
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV |
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210,00 EUR |
Post- und Telekommunikationspauschale, Nrn. 7001/7002 VV |
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20,00 EUR |
Dokumentenpauschale, 23 Kopien, Nr. 7000 Nr. 1a VV |
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11,50 EUR |
Zwischensumme netto |
565,50 EUR |
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19 % USt., Nr. 7008 VV |
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107,45 EUR |
Gesamtbetrag |
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672,95 EUR |
abzgl. Anteil der Beklagten |
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– 491,77 EUR |
Endsumme |
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181,18 EUR |
Hinsichtlich der Kürzung wurde im Beschluss der Urkundsbeamtin ausgeführt, dass bei Bestimmung der Verfahrensgebühr der kurze Beiordnungszeitraum zu berücksichtigen sei, da PKH erst ab dem 19.11.2015 bewilligt worden sei. Es sei daher ein Abschlag von 30 % angemessen.
Der Beschwerdeführer legte am 31.8.2016 Erinnerung ein. Er verwies zur Begründung darauf, dass sich die Beiordnung gem. § 48 Abs. 4 S. 2 RVG auf die gesamte Tätigkeit erstrecke und damit auch auf den Zeitraum v. 24.11.2014 bis 18.11.2015. Selbst wenn dies wegen § 48 Abs. 4 S. 1 RVG nicht gelten würde und die PKH-Vergütung nur auf einen Betrag i.H.v. 672,95 EUR festzusetzen wäre, würde sein Anspruch sich wegen § 58 Abs. 2 RVG trotzdem auf 491,77 EUR belaufen. Hinsichtlich des Differenzbetrages zwischen der ihm tatsächlich zustehenden Vergütung i.H.v. 983,54 EUR und der aufgrund des eingeschränkten Beiordnungszeitraums geringeren Vergütung i.H.v. 672,95 EUR, mithin eines Betrages i.H.v. 310,90 EUR, sei die Erstattungszahlung der Beklagten nicht auf die PKH-Vergütung anzurechnen. Eine Anrechnung dürfe nur bezüglich des verbleibenden Betrages i.H.v. 181,18 EUR erfolgen. So bleibe es bei einem im Rahmen der PKH zu erstattenden Betrages i.H.v. 491,77 EUR.
Die Urkundsbeamtin half der Erinnerung nicht ab.
Der Beschwerdegegner vertrat die Ansicht, dass hinsichtlich des Streitgegenstandes des Klageverfahrens, auf den sich der Wirkzeitraum der PKH-Gewährung erstreckt habe, eine halbe Mittelgebühr als Verfahrensgebühr angemessen sei. Der Streitgegenstand habe nur einen Betrag i.H.v. 69,00 EUR umfasst. Gleiches gelte für die Einigungsgebühr. Die Terminsgebühr betrage 90 % der Verfahrensgebühr. Die Kosten für Kopien seien nicht erstattungsfähig, da sie nicht während des Wirkzeitraums der PKH-Gewährung gefertigt worden seien. Hinsichtl...