RVG §§ 7, 15, 22 Abs. 1; StPO §§ 311, 464b, 467
Leitsatz
Wenn ein beigeordneter Rechtsanwalt den Angeklagten gegen die Adhäsionsklagen mehrerer Geschädigter in einem Strafverfahren vertritt, sind für die Vergütung des Rechtsanwalts die Gegenstandswerte der Adhäsionsklagen zusammenzurechnen, weil die Adhäsionsverfahren eine gebührenrechtliche Angelegenheit i.S.v. § 22 Abs. 1 RVG bilden.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.3.2019 – 1 Ws 360/18
1 Sachverhalt
In dem durch Urteil rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren vor dem Schwurgericht des LG vertrat der Rechtsanwalt als Wahlanwalt die drei Nebenkläger und wurde für sie jeweils auch im Adhäsionsverfahren tätig. Weil der Verurteilte aufgrund des genannten Urteils die notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen hat, beantragte der Nebenklägervertreter beim LG nach § 464b StPO für die Nebenkläger die Festsetzung notwendiger Auslagen i.H.v. 13.050,79 EUR. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss entsprach der Rechtspfleger dem Antrag in vollem Umfang. Dabei addierte er die für die Adhäsionsklagen der Nebenkläger von der Schwurgerichtskammer jeweils festgesetzten Gegenstandswerte von 56.740,70 EUR, 35.000,00 EUR u. 25.790,00 EUR und setzte ausgehend von dem so ermittelten Gegenstandswert von 117.530,70 EUR für die Tätigkeit des Nebenklägervertreters im Adhäsionsverfahren u.a. Folgendes fest:
2,0-Verfahrensgebühr, Nr. 4143 VV |
3.176,00 EUR |
(Wert: 117.530,70 EUR) |
|
0,6-Erhöhungsgebühr, Nr. 1008 VV |
952,80 EUR |
(Wert: 117.530,70 EUR) |
|
Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
50 Schwarz-Weiß-Kopien, |
25,00 EUR |
Nr. 7000 Nr. 1a) VV |
|
537 Schwarz-Weiß-Kopien, |
80,55 EUR |
Nr. 7000 Nr. 1a) VV |
|
Zwischensumme netto |
4.254,35 EUR |
Gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss hat der Angeklagte sofortige Beschwerde eingelegt. Dabei beanstandet er allein die für die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV in Ansatz gebrachte Erhöhungsgebühr (Nr. 1008 VV), die nach seiner Auffassung nicht angefallen sei, weil die Nebenkläger jeweils eigene, unterschiedliche Ersatzansprüche geltend gemacht haben. Dies sei allein durch die (im Kostenfestsetzungsbeschluss erfolgte) Addition der Gegenstandswerte zu berücksichtigen.
2 Aus den Gründen
Die nach §§ 464b Abs. 4, 311 StPO, § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde, über die der Senat in der Besetzung mit drei Richtern entscheidet (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2000, 254 [= AGS 2000, 132]; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2012, 160 [= AGS 2013, 40]) hat auch in der Sache Erfolg.
1. Zutreffend ist der Rechtspfleger zunächst davon ausgegangen, dass der Nebenklägervertreter die Verfahrensgebühr aus Nr. 4143 VV nach §§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 RVG nur einmal erhält. Denn seine Tätigkeit zur Durchsetzung der Schadens- und Schmerzensgeldansprüche der drei von ihm vertretenen Nebenkläger hat er im Rahmen desselben Adhäsionsverfahrens erbracht. Er ist deshalb in derselben Angelegenheit i.S.v. §§ 7, 15 RVG tätig geworden (OLG Stuttgart NStZ-RR 2015, 128 [= AGS 2015, 73]; OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.2.2009 – 2 Ws 8/09 [= AGS 2009, 325]; Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., Nr. 4143 VV Rn 7 m.w.N.).
Für die Entscheidung der Frage, ob eine oder mehrere Angelegenheiten i.S.v. §§ 7 und 15 RVG vorliegen, ist zur Vermeidung von Bewertungswidersprüchen nämlich allein auf zivilrechtliche Maßstäbe abzustellen (OLG Stuttgart, a.a.O.). Danach ist im Fall der objektiven oder subjektiven Klagehäufung, also auch dann, wenn ein Rechtsanwalt in einem gerichtlichen Verfahren die Klagen mehrerer Kläger vertritt, in aller Regel nur eine Angelegenheit gegeben. Denn in diesem Fall geht die anwaltliche Tätigkeit regelmäßig auf einen einheitlichen Auftrag zurück, hält sich in demselben Rahmen, und zwischen den Handlungen des Rechtsanwalts besteht ein innerer Zusammenhang (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.). Hiervon ist auch im vorliegenden Fall auszugehen, in dem die Adhäsionsanträge der drei Nebenkläger auf demselben Lebenssachverhalt beruhen.
2. Obwohl der Nebenklägervertreter in nur einer Angelegenheit tätig wurde, handelt es sich bei den Ansprüchen der drei Nebenkläger aber um drei verschiedene Gegenstände i.S.v. §§ 22 ff. RVG. Denn für den Gegenstandsbegriff ist allein auf die wirtschaftliche Identität abzustellen, die bei der Vertretung mehrerer Auftraggeber nur dann vorliegt, wenn der Rechtsanwalt für diese Auftraggeber wegen desselben Rechts oder Rechtsverhältnisses tätig wird und sie insoweit eine Rechtsgemeinschaft oder eine dieser gleichgestellte Gemeinschaft bilden (Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., Nr. 1008 VV Rn 135). Dies ist vorliegend nicht der Fall, weil den Nebenklägern das von ihnen im Adhäsionsverfahren geltend gemachte Recht jeweils allein zusteht (OLG Brandenburg, a.a.O.). Zutreffend hat der Rechtspfleger daher die Gegenstandwerte für die Klagen der drei Nebenkläger nach § 22 Abs. 1 RVG addiert und die Summe zur Bemessung der Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV herangezogen (OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Brandenburg, a.a.O.; Burhoff/V...