Ordnet das RVG die Anrechnung von Gebühren aufeinander an, liegen stets verschiedene Angelegenheiten vor. Durch die strikte Trennung der Abrechnung der zugrunde liegenden Angelegenheiten wird sichergestellt, dass der nach einer Anrechnung verbleibende Gebührenbetrag mit dem zutreffenden Satz versteuert wird. Je nachdem, wo die Anrechnung vom Anwalt vorgenommen wird, können die Berechnungsergebnisse variieren. Es ist wegen § 15a Abs. 1 RVG dem Wahlrecht des Rechtsanwalts überlassen, bei welcher Gebühr die Anrechnung vorgenommen wird.
Beispiel 8: Mahn- und Prozessverfahren
Der Rechtsanwalt erhält den unbedingten Auftrag zur Durchführung des Mahnverfahrens am 19.6.2020. Das Mahnverfahren endet aufgrund Widerspruchs (vgl. § 696 ZPO) des Antragsgegners am 20.9.2020. Das Prozessverfahren beginnt am 9.10.2020 und endet am 30.9.2021.
Es liegen gem. § 17 Nr. 2 RVG zwei gebührenrechtliche Angelegenheiten vor. Das Mahnverfahren ist gem. § 8 Abs. 1 S. 1 RVG am 20.9.2020 beendet worden und die Vergütung ist zu diesem Zeitpunkt fällig geworden. Für das Mahnverfahren gilt der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 16 %.
Das Prozessverfahren ist gem. § 8 Abs. 1 S. 1 RVG am 30.9.2021 beendet worden und die Vergütung ist zu diesem Zeitpunkt fällig geworden. Für das Prozessverfahren gilt der Umsatzsteuersatz von 19 %.
Nach der Anm. zu Nr. 3305 VV ist die 1,0-Mahnverfahrensgebühr, Nr. 3305 VV auf die 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV mit dem Nettobetrag anzurechnen:
a) Mahnverfahren – 16 % Umsatzsteuer | ||
1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV | 303,00 EUR | |
(Wert: 5.000,00 EUR) | ||
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 323,00 EUR | |
16 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV | 51,68 EUR | |
Gesamt | 374,68 EUR |
b) Rechtsstreit – 19 % Umsatzsteuer | ||
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV | 393,90 EUR | |
(Wert: 5.000,00 EUR) | ||
./. anzurechnende 1,0-Mahnverfahrensgebühr | – 303,00 EUR | |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV | 363,60 EUR | |
(Wert: 5.000,00 EUR) | ||
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 474,50 EUR | |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV | 90,16 EUR | |
Gesamt | 564,66 EUR |
Nur die Differenz zwischen der 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV über 393,90 EUR und der anzurechnenden Mahnverfahrensgebühr, Nr. 3305 VV über 303,00 EUR i.H.v. 90,90 EUR ist damit mit einem Satz von 19 % zu versteuern.
Beispiel 9: Außergerichtliche Vertretung und Prozessverfahren
Der Rechtsanwalt erhält den unbedingten außergerichtlichen Auftrag am 19.6.2020. Dieser endet am 20.9. 2020. Das Prozessverfahren beginnt am 9.10.2020 und endet am 30.9.2021.
Es liegen zwei gebührenrechtliche Angelegenheiten vor.
Die außergerichtliche Vertretung ist gem. § 8 Abs. 1 S. 1 RVG am 20.9.2020 beendet worden und die Vergütung ist zu diesem Zeitpunkt fällig geworden. Für die außergerichtliche Vertretung gilt der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 16 %.
Das Prozessverfahren ist gem. § 8 Abs. 1 S. 1 RVG am 30.9.2021 beendet worden und die Vergütung ist zu diesem Zeitpunkt fällig geworden. Für das Prozessverfahren gilt der Umsatzsteuersatz von 19 %.
Nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV ist die Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV zur Hälfte, höchstens mit 0,75 auf die 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV anzurechnen:
a) Außergerichtliche Vertretung – 16 % Umsatzsteuer | ||
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV | 393,90 EUR | |
(Wert: 5.000,00 EUR) | ||
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 413,90 EUR | |
16 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV | 66,22 EUR | |
Gesamt | 480,12 EUR |
b) Rechtsstreit – 19 % Umsatzsteuer | ||
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV | 393,90 EUR | |
(Wert: 5.000,00 EUR) | ||
./. anzurechnende 0,65-Geschäftsgebühr | – 196,95 EUR | |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV | 363,60 EUR | |
(Wert: 5.000,00 EUR) | ||
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV | 20,00 EUR | |
Zwischensumme | 580,55 EUR | |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV | 110,30 EUR | |
Gesamt | 690,85 EUR |
Die Differenz zwischen der 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV über 393,90 EUR und der zu 0,65 anzurechnenden Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV über 393,90 EUR i.H.v. 196,95 EUR ist damit mit einem Satz von 19 % zu versteuern.
Beispiel 10: Bußgeldverfahren und Strafverfahren
Gegen den Beschuldigten wird ein Bußgeldverfahren wegen falschen Überholens geführt, das am 30.9.2020 durch einen Bußgeldbescheid endet. Weil später bekannt wird, dass es durch das falsche Überholen zu einem Verkehrsunfall gekommen ist, kommt es anschließend auch noch zu einem Strafverfahren wegen eines Verstoßes gegen § 142 StGB, das am 30.1.2021 durch Einstellung im Ermittlungsverfahren endet.
Das Bußgeldverfahren ist gem. § 8 Abs. 1 S. 1 RVG am 20.9.2020 beendet worden und die Vergütung ist zu diesem Zeitpunkt fällig geworden. Für das Bußgeldverfahren gilt der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 16 %.
Das Strafverfahren ist gem. § 8 Abs. 1 S. 1 RVG am 30.1.2021 beendet worden und die Vergütung ist zu diesem Zeitpunkt fällig geworden. Für das Strafverfahren gilt der Umsatzsteuersatz von 19 %.
Nach Abs. 2 der Anm. zu Nr. 4100 VV ist die im Bußgeldverfahren wegen derselben Tat oder Handlung bereits entstandene Grundgebühr Nr. 5100 VV auf die Grundgebühr des Strafverfahrens nach Nr. 4100 VV an...
Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?
Jetzt kostenlos 4 Wochen testen