§ 14 RVG; § 398 BGB
Leitsatz
- Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist unterdurchschnittlich, wenn im Ordnungswidrigkeitsverfahren inhaltlich lediglich zu klären war, ob der gemeinsame Aufenthalt von drei Personen in einem privaten Pkw einen Aufenthalt im öffentlichen Raum darstellt.
- Zur rechtswirksamen Abtretung der Kostenerstattungsforderung des Freigesprochenen an den Verteidiger.
LG Braunschweig, Beschl. v. 8.6.2021 – 2b Qs 160/21
I. Sachverhalt
Gegen den Betroffenen wurde durch die Stadt Salzgitter am 11.6.2020 ein Bußgeldbescheid wegen eines behaupteten Verstoßes des Betroffenen am 3.5.2020 um 18:40 Uhr gegen §§ 73 Abs. la Nr. 24 IfSG i.V.m. §§ 2, 12 Abs. 1 der Niedersächsischen Corona-VO erlassen, weil der Betroffene sich mit zwei weiteren Personen in einem Pkw befunden und dabei nicht den erforderlichen Mindestabstand eingehalten habe. Mit dem Bescheid wurde eine Geldbuße i.H.v. 200,00 EUR festgesetzt. Als Beweismittel ist im Bußgeldbescheid eine Zeugin von der Polizei benannt.
Mit Schreiben vom 29.6.2020 zeigte der Verteidiger des Betroffenen dessen Vertretung an, legte gegen den Bußgeldbescheid Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht. Nach Gewährung der Akteneinsicht begründete der Verteidiger den Einspruch damit, dass sich aus den Akten nichts ergäbe, was verwertbar wäre. Daraufhin machte die Zeugin ergänzende Angaben. Anschließend wurde das Verfahren an das AG abgegeben. Nach Durchführung der Hauptverhandlung, die 10 Minuten gedauert hat, hat das AG den Betroffenen freigesprochen. Eine Beweisaufnahme ist nicht erfolgt. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen wurden der Staatskasse auferlegt.
Der Verteidiger des Betroffenen hat am 29.1.2021 beantragt die notwendigen Auslagen des Betroffenen für den Verteidiger als Abtretungsempfänger gegen die Staatskasse wie folgt festzusetzen:
Grundgebühr, Nr. 5100 VV |
119,00 EUR |
Verfahrensgebühr, Nr. 5103 VV |
190,00 EUR |
Verfahrensgebühr, Nr. 5109 VV |
190,00 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 5110 VV |
300,00 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
Auslagen (Aufwand) |
12,00 EUR |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
157,89 EUR |
Summe |
988,89 EUR |
Zur Begründung seines Antrages führte der Verteidiger des Betroffenen aus, dass der Ansatz von Gebühren leicht über den Mittelwerten angemessen sei, da es sich um völlig neue Rechtsnormen handele, sodass eine intensive Einarbeitung erforderlich gewesen sei. Außerdem sei zum Zeitpunkt der Verhandlung erst eine einzige entsprechende Entscheidung zu der Rechtsfrage veröffentlicht gewesen und die Verteidigung habe nicht davon ausgehen können, dass sich das Amtsgericht dieser Rechtsmeinung anschließen würde. Kommentar-Lit. habe überhaupt noch keine vorgelegen. Darüber hinaus legte der Verteidiger des Betroffenen eine "Vollmacht mit Abtretung" bei.
Im angefochtenen Beschluss setzte das AG die dem Betroffenen zu erstattenden notwendigen Auslagen gekürzt fest:
Grundgebühr, Nr. 5100 VV |
90,00 EUR |
Verfahrensgebühr, Nr. 5103 VV |
110,00 EUR |
Verfahrensgebühr, Nr. 5109 VV |
110,00 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 5110 VV |
180,00 EUR |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
Auslagen |
12,00 EUR |
Summe |
621,18 EUR |
Gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss wendet sich der Verteidiger mit sofortiger Beschwerde vom 23.5.2021, in der er ausführt, dass aufgrund der mitgeteilten Abtretung die Kostenfestsetzung nicht für den Freigesprochenen, sondern für den Verteidiger beantragt worden sei, sodass die Festsetzung für den Freigesprochenen falsch sei. Er hat auch die festgesetzten Gebühren als zu niedrig beanstandet. Er habe sich nämlich mit einer Rechtsnorm beschäftigen müssen, zu der es das konkrete Problem betreffend bis dahin weder Kommentierungen noch Aufsätze gegeben habe und lediglich ein einziges Urteil veröffentlicht gewesen sei. Die Recherche sei daher naturgemäß ausgesprochen aufwendig gewesen. Er habe insbesondere auch Online-Datenbanken befragen und Rückfragen bei Kollegen stellen müssen. Mit dem gefundenen Urteil habe er sich darüber hinaus auseinandersetzen müssen. Das LG hat das Rechtsmittel als unbegründet zurückgewiesen.
II. Unwirksame Abtretung
Nach Auffassung des LG waren die von der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen dem Betroffenen und nicht dem Verteidiger zu erstatten. Denn der Erstattungsanspruch des Betroffenen sei nicht gem. § 398 BGB formwirksam an den Verteidiger abgetreten worden. Eine Abtretung sei, wie in der Rspr. und Rechtslehre anerkannt ist, nur wirksam, wenn die Forderung, die Gegenstand der Abtretung ist, bestimmt oder wenigstens bestimmbar gewesen sei (BGH NJW 2011, 2713).
Hieran fehle es. Denn die Forderung, die Gegenstand der Abtretung ist, sei nur dann bestimmt, oder wenigstens bestimmbar, wenn Gegenstand und Umfang der Forderung, d.h. die Person des Schuldners, Gegenstand und Umfang der Leistung, bei Verwechslungsgefahr auch weiter der Rechtsgrund der Forderung (MüKo-BGB/Roth/Kieninger, 8. Aufl., 2019, BGB § 398 Rn 66) erklärt werden. Weder die von dem Verteidiger vorgelegte Abtretungsanzeige noch die entsprechende Abtretungsvereinbarung e...