§§ 249, 254 BGB
Leitsatz
Beauftragt ein Gläubiger regelmäßig zwei verschiedene Anwaltskanzleien mit der vorgerichtlichen Mahnung und der gerichtlichen Durchsetzung einer Forderung, dann sind die vorgerichtlich entstandenen Kosten, soweit sie verzugsbedingt dem Grunde nach erstattungsfähig sind, der Höhe nach zu kürzen, soweit bei Beauftragung eines einzigen Anwalts die Geschäftsgebühr hälftig anzurechnen gewesen wäre.
AG Stuttgart, Urt. v. 21.5.2021 – 35 C 998/21
I. Sachverhalt
Bei der Klägerin handelt es sich um eine Großvermieterin, die geschäftsmäßig eine Vielzahl von Wohnungen vermietet. Die beklagte Mieterin war zunächst mit der Januarmiete 2018 und der Betriebskostennachzahlung für das Vorjahr in Verzug geraten, worauf die Klägerin selbst die Beklagte hinsichtlich der offenen Beträge anmahnte. Nachdem auch die Februarmiete nicht gezahlt wurde, beauftragte die Klägerin einen Rechtsanwalt mit der außergerichtlichen Geltendmachung des zwischenzeitlich aufgelaufenen Gesamtzahlungsrückstands i.H.v. 2.150,21 EUR. Nachdem auf die außergerichtliche Tätigkeit dieses Anwalts seitens der Beklagten nicht reagiert wurde, beauftragte die Klägerin einen anderen Anwalt, die offenen Mieten einzuklagen und auch die vorgerichtlich entstandenen Kosten des ersten Anwalts als Verzugsschaden mit geltend zu machen. Das Amtsgericht hat die Klage teilweise abgewiesen.
II. Erstattungsfähige Kosten
1. Kosten der Mahnung grds. erstattungsfähig
Die vorgerichtlichen Kosten sind dem Grunde nach erstattungsfähig. Zwar sind nach Auffassung des Amtsgerichts die Kosten einer ersten Mahnung grds. nicht erstattungsfähig, da die Klägerin als Großvermieterin mit kaufmännisch geschultem Personal ohne Weiteres in der Lage ist, die erste Mahnung selbst auszusprechen. Dies war hier nur hinsichtlich der Januarmiete und der Nebenkostennachzahlung geschehen. Hinsichtlich der weiteren Miete für den Monat Februar bedurfte es allerdings keiner weiteren Erstmahnung durch die Klägerin mehr, nachdem ihre Mahnung hinsichtlich der Januarmiete fruchtlos war und der Beklagte aufgrund kalendermäßig bestimmter Zahlungsfrist (3. Werktag eines Monats) auch ohne Mahnung in Verzug geraten war. Eine weitere Mahnung für die Februarmiete wäre ebenso fruchtlos gewesen. Von daher war es nicht als Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht anzusehen, die Rechtsanwaltskanzlei nunmehr auch mit der Februarmiete zu beauftragen.
2. Kürzung um den Anrechnungsbetrag
Der Höhe nach war der Erstattungsanspruch allerdings zu kürzen. Es gab keinen vernünftigen Grund dafür, dass die Klägerin mit dem gerichtlichen Verfahren eine andere Rechtsanwaltskanzlei beauftragt hat als vorgerichtlich. Das Gericht hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass für diese Praxis eines solchen Anwaltswechsels bislang kein plausibler Grund vorgetragen sei. Folglich ist davon auszugehen, dass insoweit ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB) vorliegt, als ein Anwaltswechsel vorgenommen wurde. Der Anwaltswechsel hat nämlich zur Folge, dass die Geschäftsgebühr anders als bei Beauftragung desselben Anwalts jetzt nicht nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV hälftig auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet wird. Demzufolge war die Geschäftsgebühr um den Anrechnungsbetrag zu kürzen.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Kosten des Anwaltswechsels grds. erstattungsfähig
Nach der Rspr. des BGH (AGS 2010, 52 = RVGreport 2010, 109) ist es grds. unbedenklich, dass ein Gläubiger außergerichtlich einen anderen Anwalt beauftragt, als im gerichtlichen Verfahren und dass dann die Kosten beider Anwälte zu erstatten sind, sofern ein entsprechender Kostenerstattungsanspruch dem Grunde nach besteht. Nur im Falle eines gerichtlichen Verfahrens sind nach der Auffassung des BGH die Mehrkosten des Anwaltswechsels nicht erstattungsfähig (für Mahnverfahren AGS 2018, 100 = RVGreport 2018, 146; für selbstständiges Beweisverfahren AGS 2018, 97 = RVGreport 2018, 67). Soweit das Gericht hier die Sache anders beurteilt, ist dies grds. nicht zu beanstanden. Im Rahmen des § 254 BGB kann durchaus berücksichtigt werden, wenn offenbar bewusst verschiedene Anwälte beauftragt werden, um die Anrechnung zu umgehen. Es ist dann Sache des Gläubigers, dieses Vorgehen zu erläutern.
2. Frage der Kostenerstattung erst im Kostenfestsetzungsverfahren zu prüfen
Unzutreffend ist die Entscheidung des Amtsgerichts allerdings insoweit, als es diese Frage im Erkenntnisverfahren geklärt hat. Wie der BGH (AGS 2007, 283 = RVGreport 2007, 226) bereits klargestellt hat, spielt die Anrechnung der Geschäftsgebühr für den materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch keine Rolle. Das Gericht hätte hier also der Klage in vollem Umfang stattgeben müssen. Es wäre dann im Kostenfestsetzungsverfahren zu prüfen gewesen, ob eine volle 1,3-Gebühr (Nr. 3100 VV) festgesetzt wird oder nur die um die hälftige Anrechnung der Geschäftsgebühr (Vorbem. 3 Abs. 4 VV) verminderte Verfahrensgebühr.
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen
AGS 7/2021, S. 315 - 316