§§ 24, 81 Abs. 4 FamFG
Leitsatz
Übernimmt ein Elternteil aufgrund eines Aufrufs im Internet ein dort veröffentlichtes substanzloses Muster zu einer Anregung für ein Kindesschutzverfahren wegen der von der Landesregierung angeordneten Corona-Maßnahmen, so können dem Urheber dieses Aufrufs nicht die Kosten des Verfahrens auferlegt werden.
OLG München, Beschl. v. 1.6.2021 – 2 WF 528/21
I. Sachverhalt
Der Vater des betroffenen Kindes hatte die Einleitung eines Kindesschutzverfahrens durch das FamG angeregt, da das körperliche, seelische und geistige Wohl seines Sohnes aufgrund des Tragens eines Mund- und Nasenschutzes und anderer behördlicher Corona-Maßnahmen gefährdet sei. Dabei hat er ein aus dem Internet gezogenes Muster verwandt, das der Beschwerdeführer, ein ehemaliger Familienrichter, mit der Aufforderung veröffentlich hatte, unter Verwendung dieses Musters Eingaben bei den jeweiligen Familiengerichten zu machen. Das FamG hat daraufhin ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und ein Hauptsacheverfahren eingeleitet. Es hat für das Kind einen Verfahrensbeistand bestellt und Termin zur Anhörung im einstweiligen Anordnungsverfahren anberaumt, zu dem das Kind, der Verfahrensbeistand, das Jugendamt und die Eltern geladen worden waren. Die hierdurch erstmals mit dem Antrag konfrontierte alleinsorgeberechtigte Mutter wandte sich gegen die Durchführung des Verfahrens und die Anhörung des Kindes. Die Anregung des Vaters sei substanzlos, zumal er ein vorgefertigtes Schreiben aus dem Internet übernommen und an das FamG gesandt habe. Der Vater hat daraufhin seine Anregung zurückgenommen. Ungeachtet dessen erstattete die Verfahrensbeiständin noch einen ausführlichen Bericht, in dem sie ausführte, dass bei dem Kind keine gesundheitlichen oder psychische Auswirkungen durch das Tragen eines Mund- und Nasenschutzes bemerkt worden seien. Das FamG hat daraufhin die Kosten des Verfahrens einschließlich der gerichtlichen Auslagen des Hauptverfahrens und des Eilverfahrens dem Urheber des Internetauftritts als nicht beteiligtem Dritten gem. § 81 Abs. 4 FamFG auferlegt. Dieser habe das Tätigwerden des Gerichts veranlasst, da er ein bis ins Detail ausgearbeitetes Muster einer entsprechenden Anregung zur Verbreitung zur Verfügung gestellt habe, ohne das es nicht zu den betreffenden Verfahren gekommen wäre. Dieses Vorgehen sei auch grob schuldhaft, da er den Eindruck vermittelt habe, die Familiengerichte seien befugt, derartige Anordnungen zu erlassen. Die Überprüfung der fraglichen Anordnung sei jedoch den Verwaltungsgerichten vorbehalten. Eine dennoch ergangene Entscheidung des FamG wäre offensichtlich rechtswidrig gewesen. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde, der das FamG nicht abgeholfen hat. Das OLG hat den Beschluss des FamG aufgehoben.
II. Eingabe war lediglich eine Anregung
Das aus dem Internet generierte Schreiben des Vaters war lediglich als Anregung zur Einleitung eines Kindesschutzverfahrens formuliert gewesen. Gem. § 24 Abs. 1 FamG entscheidet ein FamG selbst, ob es auf die Anregung hin ein Verfahren einleitet oder nicht. Eine Pflicht zur Einleitung des Verfahrens folge nicht aus der Anregung, sondern allein aus sachlichem Grund. Hier hatte kein Grund für die Einleitung eines Verfahrens bestanden. Wie das FamG zu Recht festgestellt hat, war der Rechtsweg zu den Familiengerichten insoweit nicht eröffnet. Inhalt der Anregung war nämlich keine konkrete Gefährdung des Kindeswohls, sondern die allgemeine Überprüfung der infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen der Landesregierung. Dies obliegt aber alleine den Verwaltungsgerichten. Daher hat für das FamG auch nach seiner eigenen Rechtsauffassung keine Veranlassung zur Einleitung eines solchen Verfahrens bestanden, schon gar nicht zur Einleitung zweier Verfahren (Haupt- und Eilsache). Die entstandenen Kosten beruhen daher nicht auf dem Verhalten des Beschwerdeführers, sondern auf der fehlerhaften Entscheidung des FamG. Die Kosten könnten daher auch nicht den Eltern aufzuerlegen. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG sind Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht zu erheben. Der Rechtsgedanke dieser Vorschrift ist auch im Rahmen der Kostengrundentscheidung entsprechend heranzuziehen.
III. Bedeutung für die Praxis
Wie viele andere Gerichte auch, hat das FamG falsch reagiert. Ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung ist von Amts wegen einzuleiten. Das Gericht hat also zunächst einmal zu prüfen, ob die Anregung Anlass gibt, ein Verfahren von Amts wegen einzuleiten. Wird dies verneint, was hier hätte geschehen müssen, ist das "Anregungsverfahren" kostenfrei. Erst mit Einleitung eines Verfahrens von Amts wegen wird eine Gerichtsgebühr ausgelöst. Die Vorprüfung, ob auf eine Anregung hin etwas zu veranlassen ist, ist dagegen gerichtsgebührenfrei. Hätte das FamG richtig reagiert und hätte es von vornherein abgelehnt, ein Verfahren von Amts wegen einzuleiten, dann wären gar keine Kosten angefallen.
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen
AGS 7/2021, S. 324 - 325