§§ 153a, 397a Abs 2 StPO; § 119 ZPO
Leitsatz
Nach Abschluss des Verfahrens kommt eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 397a Abs. 2 StPO nur dann in Betracht, wenn der Antrag auf Prozesskostenhilfe vollständig vor Abschluss der Instanz gestellt, vom Gericht aber nicht rechtzeitig beschieden wurde. In diesem Sinne schließt nicht erst nicht die endgültige, sondern bereits die vorläufige Einstellung des Verfahrens nach § 153a Abs. 2 StPO das Verfahren ab, weil eine Erfolg versprechende Rechtsverfolgung – jedenfalls bis zu einer etwaigen Wiederaufnahme – nicht (mehr) möglich ist.
AG Kehl, Beschl. v. 21.6.2021 – 2 Cs 305 Js 3272/19 (2)
I. Sachverhalt
Die Nebenklägerin hatte Prozesskostenhilfe beantragt, die vom AG abgelehnt worden ist. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das AG dem LG Offenburg zur Entscheidung vorgelegt.
II. Vorläufige Einstellung nach § 153a StPO sperrt nachträgliche PKH-Bewilligung
Das AG sieht keinen Anlass zur Änderung der angefochtenen Entscheidung. Soweit die Nebenklägerin erstmals mit der Beschwerde erkläre, dass es sich bei dem monatlichen Zahlungseingang von 900,00 EUR auf ihrem Konto um den Transfer der bereits als Mieteinnahmen in Polen als Einkommen berücksichtigten 800,00 EUR vom Mietkonto in Polen handele, sei dies – unabhängig von der betragsmäßig nicht unerheblichen und deshalb die Wahrhaftigkeit ihrer Angaben in Zweifel ziehende Differenz – unbeachtlich. Aufgrund der – wenngleich bislang nur vorläufigen – Einstellung des Verfahrens nach § 153a Abs. 2 StPO gelte das Verfahren nämlich als abgeschlossen, weil eine Erfolg versprechende Rechtsverfolgung – jedenfalls bis zu einer etwaigen Wiederaufnahme – nicht (mehr) möglich sei. Eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 397a Abs. 2 StPO komme nur dann in Betracht, wenn der Antrag auf Prozesskostenhilfe vollständig vor Abschluss der Instanz gestellt, vom Gericht aber nicht rechtzeitig beschieden worden sei (vgl. KK-StPO/Walther, 8. Aufl., 2019, § 397a StPO Rn 14 MüKo-ZPO/Wache, 6. Aufl., 2020, § 119 ZPO Rn 55; BeckOK-ZPO/Reichling, 40. Ed. 1.3.2021, § 119 ZPO Rn 6 f.). Nachdem – trotz des Hinweises des Gerichts – auch mit der am Tag der Hauptverhandlung, in der das Verfahren eingestellt wurde, eingereichten zweiten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse keine Erläuterungen zu den 900,00 EUR erfolgt seien, müsse der Antrag zu diesem Zeitpunkt jedoch als (noch) nicht vollständig angesehen werden (vgl. MüKo-ZPO/Wache, a.a.O., § 117 Rn 19). Darüber hinaus verhalte sich Nebenklägerin weiterhin nicht zu etwaigen Konten in Polen, obwohl sich der Bestand aufgrund der dort erzielten Mieteinnahmen nicht nur aufdränge, sondern sie nach der Beschwerdebegründung zumindest über ein Mietkonto verfüge. Bereits deshalb sei der Antrag auf Prozesskostenhilfe – nach wie vor – unvollständig und kann deshalb keine Grundlage für eine Bewilligung von PKH sein.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Die Richtigkeit der Entscheidung hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen für die beantragte PKH – Stichwort: Bedürftigkeit – lässt sich aufgrund des nur knappen Sachverhalts nicht überprüfen.
2. Für die abgelehnten rückwirkende Bewilligung gilt: M.E. kann man bezweifeln, ob die vorläufige Einstellung nach § 153a StPO tatsächlich schon das Verfahren abschließt. Denn bis zur Erfüllung der im Einstellungsbeschluss genannten Auflagen und Weisungen besteht noch kein endgültiges, sondern nur ein bedingtes Verfahrenshindernis. Erst durch den gem. § 467 Abs. 5 StPO erforderlichen endgültigen Einstellungsbeschluss wird das Verfahren beendet. Die Nebenklägerin hätte also noch "nachbessern" können. Man darf gespannt sein, wie das das LG Offenburg in der Beschwerdeinstanz sieht.
3. I.Ü. gilt hinsichtlich der nachträglichen Bewilligung von Prozesskostenhilfe: Die h.M. in der Rspr. lehnt eine rückwirkende Bewilligung der Prozesskostenhilfe grds. ab (st. Rspr. des BGH; vgl. u.a. BGH StraFo 2011, 115 m.w.N.; zuletzt u.a. BGH, Beschl. v. 18.3.2021 – 5 StR 222/20, AGS 2021, 232; OLG Celle StRR 2015, 461; OLG Hamm, Beschl. v. 13.6.2017 – 4 Ws 90/17; vgl. a. Volpert, AGS 2020, 365, 366 ff.). Eine auf den Zeitpunkt der Antragstellung rückwirkende Entscheidung kommt nach der Rspr. nur dann in Betracht, wenn der Antrag nicht rechtzeitig beschieden worden ist und der Antragsteller mit seinem Antrag bereits alles für die Bewilligung der PKH Erforderliche getan hat (vgl. BVerfG NStZ-RR 1997, 69; BGH NJW 1985, 921; StV 2018, 138 [Ls.] m. Anm. Burhoff; RVGreport 2018, 75; StraFo 2011, 115; BGH, Beschl. v. 18.3.2021 – 5 StR 222/20, AGS 2021, 232; OLG Celle und OLG Hamm, jew. a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., 2021, § 397a Rn 15; vgl. a. noch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2015, 381). Wird Prozesskostenhilfe rückwirkend bewilligt, ist dies nicht über den Zeitpunkt hinaus möglich, zu dem Gericht erstmals ein vollständiger genehmigungsfähiger Antrag vorliegt (BGH StraFo 2017, 258; NStZ-RR 2015, 351 m.w.N.). Das bedeutet für den Rechtsanwalt, dass möglich früh umfassend vorgetragen werden sollte, um solche Situationen wie hier zu vermeiden.
Rechtsanwalt Detlef Burho...