§ 397b Abs. 1 StPO; § 53a RVG
Leitsatz
Für die Bestellung eines gemeinschaftlichen Nebenklagevertreters i.S.d. § 397b Abs. 1 StPO genügt es, wenn die Interessen der Nebenkläger "gleichgelagert" sind; sie müssen nicht identisch sein. Erst dann, wenn die Interessen in ihrer Gesamtheit so gegenläufig und widersprüchlich sind, dass deren gleichzeitige Wahrnehmung dem Mehrfachvertreter wegen "widerstreitender Interessen" gem. § 43a Abs. 4 BRAO berufsrechtlich untersagt wäre, scheidet eine gemeinschaftliche Vertretung aus.
KG, Beschl. v. 26.4.2021 – 2 Ws 33/21
I. Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft legt dem Angeklagten mit der Anklage zur Last, den 13-jährigen A. durch Messerstiche vorsätzlich getötet zu haben (§ 212 StGB). Mit Beschl. v. 16.2.2021 hat das Landgericht festgestellt, dass sich die Mutter des Opfers, Frau N A, als Nebenklägerin wirksam der öffentlichen Klage angeschlossen hat; zugleich hat das Schwurgericht ihr Rechtsanwältin S als Beistand bestellt (§ 397a Abs. 1 StPO).
Mit Beschl. v. 23.3.2021 hat das LG zudem festgestellt, dass sich auch der Vater des Getöteten, Herr H A, als Nebenkläger wirksam der öffentlichen Klage angeschlossen hat. Den Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt T als Beistand hat es indessen abgelehnt, insoweit aber festgestellt, dass dieser Rechtsanwalt nach § 397a Abs. 3 S. 2 StPO hätte bestellt werden können. Zur Begründung hat die Strafkammer darauf hingewiesen, dass sie mit dem Beschl. v. 16.2.2021 bereits der Mutter des Getöteten eine Rechtsanwältin als Beistand beigeordnet habe und die Interessen beider Elternteile gleichgelagert seien. Deshalb halte "die Kammer vorliegend eine Mehrfachvertretung gem. § 397b Abs. 1 StPO für sachgerecht". Gegen diesen Beschluss hat Rechtsanwalt T namens und in Vollmacht des Herrn H A Beschwerde eingelegt und beantragt, ihn nach § 397a Abs. 3 S. 2 StPO als Beistand zu bestellen, da die Voraussetzungen für eine gemeinschaftliche Nebenklagevertretung i.S.d. § 397b Abs. 1 StPO nicht vorlägen. Die Beschwerde ist vom KG als teilweise begründet angesehen worden.
II. Voraussetzungen für den gemeinschaftlichen Nebenklagebeistand
Nach Auffassung des KG hat der Beschwerdeführer als Vater des Getöteten nach § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO grds. einen Anspruch auf Bestellung eines (eigenen) Beistandes. Ausnahmsweise sei nach § 397b Abs. 1 S. 1 StPO die Bestellung eines gemeinschaftlichen Rechtsanwaltes als Beistand möglich, wenn mehrere Nebenkläger "gleichgelagerte Interessen" verfolgen. Die Interessen mehrerer Nebenkläger seien nach § 397b Abs. 1 S. 2 StPO in der Regel "gleichgelagert" "bei mehreren Angehörigen eines durch eine rechtswidrige Tat Getöteten i.S.d. § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO". Die Interessen der Nebenkläger müssten lediglich "gleichgelagert", nicht aber identisch sein. Auch bei Interessenunterschieden könne von der Möglichkeit des § 397b Abs. 1 StPO Gebrauch gemacht werden. Erst dann, wenn die Interessen in ihrer Gesamtheit so gegenläufig und widersprüchlich seien, dass deren gleichzeitige Wahrnehmung dem Mehrfachvertreter wegen "widerstreitender Interessen" gem. § 43a Abs. 4 BRAO berufsrechtlich untersagt wäre, scheide eine gemeinschaftliche Vertretung aus (vgl. zu alledem BR-Drucks 532/19, 41; ferner OLG Karlsruhe, Beschl. v. 8.5.2020 – 2 Ws 94/20, StRR 11/2020, 2 [Ls.]).
III. Identische, zumindest aber gleichgelagerte Interessenlage
Was der Nebenklägervertreter vorliegend gegen eine gemeinschaftliche Nebenklagevertretung vorbringt, verfing nach Auffassung des KG nicht. Dazu weist das KG nur darauf hin, dass gerade der Umstand, dass die beiden Nebenklageberechtigten miteinander verheiratet seien und durch den Tod ihres gemeinsamen Kindes gleichermaßen betroffen seien, Beleg für eine identische, zumindest aber gleichgelagerte Interessenlage sei. Ebenso wenig seien konkrete Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass ein Vertrauensverhältnis zwischen Nebenkläger und Vertreter aufgrund "kultureller Besonderheiten" – welche das auch immer sein mögen – nur zwischen Personen gleichen Geschlechts hergestellt werden könnte. Der Aktenumfang sei für ein Schwurgerichtsverfahren eher unterdurchschnittlich. Sofern der Nebenklägervertreter schließlich darauf hinweise, dass § 397b StPO nicht dazu führen dürfe, dem "Mehrfachvertreter eine vergütungsfreie Mehrarbeit aufzuerlegen", übersehe er, dass ihm keine "Mehrfachvertretung" auferlegt worden ist. I.Ü. werde der Mehraufwand durch eine gemeinschaftliche Nebenklagevertretung regelmäßig durch den Mehrvertretungszuschlag gem. Nr. 1008 VV abgegolten.
IV. Anspruch auf gemeinschaftlichen Beistand
Letztlich kam es auf all das aber nicht an. Denn die Entscheidung des LG beruhte auf der irrtümlichen Annahme, dass beiden Nebenklägern bereits eine Rechtsanwältin als gemeinsame Nebenklagevertreterin bestellt worden sei. Dies traf indes nach den Ausführungen des KG nicht zu. Denn durch den Beschluss des LG vom 16.2.2021 sei die Rechtsanwältin allein zur Vertreterin der Nebenklägerin bestellt worden. Die Bestellung einer gemeinschaftlichen Nebenklagevertreterin sei zu diesem Zeitpunkt auch noch gar nicht möglich gewesen, da der Vater des Getöteten erst später erklärt habe, sich dem Verfahren als Nebenkläger anzuschließen. Da einem ...