Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV RVG
Leitsatz
- Kommt es für eine Gebühr auf die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung an, so sind Unterbrechungen von jeweils mindestens einer Stunde, soweit diese unter Angabe einer konkreten Dauer der Unterbrechung oder eines Zeitpunkts der Fortsetzung der Hauptverhandlung angeordnet wurden, nicht zu berücksichtigen.
- Ordnet der Vorsitzende unter Nennung des Zeitraums eine Unterbrechung an und wird die Hauptverhandlung aus von dem Rechtsanwalt nicht zu vertretenen Gründen erst nach dem genannten Zeitraum fortgesetzt, ist nur der durch den Vorsitzenden angeordnete Zeitraum zu berücksichtigen und nicht die Dauer der tatsächlichen Unterbrechung.
LG Mannheim, Beschl. v. 11.5.2022 – 4 KLs 300 Js 40140/20
I. Sachverhalt
Nach Abschluss des Verfahrens, in dem der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger tätig war, hat der Rechtsanwalt die Festsetzung seiner gesetzlichen Gebühren und Auslagen beantragt. Diesem Antrag ist nur teilweise entsprochen worden. Drei vom Pflichtverteidiger gem. Nr. 4116 VV beantragte Längenzuschläge für die Hauptverhandlungstermine vom 5.11., 19.11. und 30.11.2021 i.H.v. jeweils 141,00 EUR sind von der Urkundsbeamtin nicht festgesetzt worden. Das dagegen eingelegte Rechtsmittel des Pflichtverteidigers hatte auch bei der Strafkammer keinen Erfolg.
II. Anwendbares neues Recht
Der Pflichtverteidiger hatte geltend gemacht, die "Mittagspausen" seien bei der Berechnung der Gesamtdauer der Hauptverhandlung für die oben genannten drei Hauptverhandlungstermine nicht abzuziehen. Das sieht das LG anders. Der Rechtsanwalt ist vor Einführung der Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV beigeordnet worden. Diese Vorschrift findet hier nach § 60 Abs. 1 RVG Anwendung, da sowohl die Auftragserteilung als auch die Beiordnung des Rechtsanwalts nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung am 1.1.2020 erfolgt seien.
III. (Neuer) Umgang mit Pausen
Nach Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV seien zwar auch Wartezeiten und Unterbrechungen an einem Hauptverhandlungstag als Teilnahme zu berücksichtigen, wenn es für eine Gebühr auf die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung ankomme. Dies gelte jedoch nicht für Unterbrechungen von jeweils mindestens einer Stunde, soweit diese unter Angabe einer konkreten Dauer der Unterbrechung oder eines Zeitpunkts der Fortsetzung der Hauptverhandlung angeordnet wurden. Werde die Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden für unbestimmte Zeit unterbrochen, sei die Dauer der Unterbrechung als Teilnahme an der Hauptverhandlung zu rechnen (z.B. Toussaint, Kostengesetze, 51. Aufl., 2021, RVG, VV Vorbemerkung 4.1, Rn 35; BR-Drucks 565/20, 98). Ordne der Vorsitzende unter Nennung des Zeitraums eine Unterbrechung an und werde die Hauptverhandlung aus von dem Rechtsanwalt nicht zu vertretenen Gründen erst nach dem genannten Zeitraum fortgesetzt, sei nur der durch den Vorsitzenden angeordnete Zeitraum zu berücksichtigen und nicht die Dauer der tatsächlichen Unterbrechung (Toussaint, a.a.O.).
IV. Konkrete Hauptverhandlungstermine
Nach Auffassung des LG war nach diesen gesetzlichen Vorgaben der Längenzuschlag gem. Nr. 4116 VV, der entstehe, wenn der gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt mehr als 5 und bis 8 Stunden an der Hauptverhandlung teilnehme, an keinem der drei Hauptverhandlungstermine am 5.11., 19.11. und 30.11.2021 entstanden.
Am 5.11.2021 habe die auf 9:00 Uhr terminierte Sitzung um 9:13 Uhr begonnen und um 14:54 Uhr geendet. Mit Verfügung der Vorsitzenden sei die Sitzung zur Mittagspause von 12:04 Uhr bis 13:30 Uhr unterbrochen und um 13:36 Uhr fortgesetzt worden. Mithin sei von dem Zeitraum von 09:00 Uhr bis 14:54 Uhr – 5 Stunden und 54 Minuten – die anberaumte Mittagspause von 12:04 Uhr bis 13:30 Uhr – 1 Stunde und 36 Minuten – abzuziehen, was eine zu berücksichtigende Verhandlungsdauer von 4 Stunden und 28 Minuten ergebe.
Am 19.11.2021 habe die auf 09:00 Uhr anberaumte Sitzung um 09:18 Uhr begonnen und um 14:15 Uhr geendet. Mit Verfügung der Vorsitzenden sei die Sitzung von 11:36 Uhr bis 13:30 Uhr zur Mittagspause unterbrochen und um 13:30 Uhr fortgesetzt worden. Mithin sei von dem Zeitraum von 9:00 Uhr bis 14:15 Uhr – 5 Stunden und 15 Minuten – die anberaumte Mittagspause von 11:36 Uhr bis 13:30 Uhr – 1 Stunde 54 Minuten – abzuziehen, was eine zu berücksichtigende Verhandlungsdauer von 3 Stunden und 21 Minuten ergebe.
Am 30.11.2021 habe schließlich die auf 9:00 Uhr anberaumte Sitzung um 9:15 Uhr begonnen und sei um 15:05 Uhr beendet gewesen. Mit Verfügung der Vorsitzenden sei die Sitzung zur Mittagspause von 11:57 Uhr bis 14:00 Uhr unterbrochen und um 14:05 Uhr fortgesetzt worden. Mithin sei von dem Zeitraum von 09:00 Uhr bis 15:05 Uhr – 6 Stunden und 5 Minuten – die anberaumte Mittagspause von 11:57 Uhr bis 14:00 Uhr – 2 Stunden und 3 Minuten – abzuziehen, was eine zu berücksichtigende Verhandlungsdauer von 4 Stunden und 2 Minuten ergeben.
V. Bedeutung für die Praxis
1. Soweit ersichtlich handelt es sich bei dieser Entscheidung um die erste Äußerung eines Gerichts zu der durch das KostRÄG 2021 eingeführten Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV. Bis zu dessen Inkrafttreten war die Frage, wie mit Wartezeiten und/oder Pausen bei der Ermittlung der für e...