§§ 164, 165 VwGO
Leitsatz
Die Voraussetzungen einer ausnahmsweisen Beachtlichkeit des materiell-rechtlichen Einwandes der Erfüllung sind im Kostenfestsetzungsverfahren nicht gegeben, wenn die Zahlung nur unter Vorbehalt während des Festsetzungsverfahren erfolgt.
VG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 8.4.2022 – 7 KE 27/20
I. Sachverhalt
Auf Antrag der erstattungsberechtigten Partei hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des VG Frankfurt (Oder) die Kosten gegen den Gegner festgesetzt. Der Erstattungspflichtige hat hiergegen die Entscheidung des Gerichts (Erinnerung) beantragt und geltend gemacht, er habe den geltenden Erstattungsanspruch einschließlich des Zinsanspruchs vor Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses vollständig erfüllt. Dies war zwar zwischen den Beteiligten unstreitig, die Zahlung war jedoch unter Vorbehalt erfolgt. Den Grund für den Vorbehalt hat der Erstattungspflichtige nicht offengelegt und sich vielmehr weiter gegen den Kostenfestsetzungsantrag gewendet.
Das VG Frankfurt (Oder) hat die Erinnerung zurückgewiesen.
II. Berücksichtigung materiell-rechtlicher Einwendungen
1. Grundsatz
Das VG Frankfurt (Oder) hat darauf hingewiesen, dass im Kostenfestsetzungsverfahren materiell-rechtliche Einwendungen gegen den prozessualen Kostenerstattungsanspruch grds. nicht zu berücksichtigen seien.
2. Ausnahme
Eine Ausnahme gelte nur dann, wenn die materiell-rechtlichen Einwendungen offensichtlich begründet seien (BVerwG RVGreport 2008, 58 [Hansens] = JurBüro 2008, 142; VGH München NVwZ-RR 2006, 221). Sei der geltend gemachte Erstattungsanspruch einschließlich des Zinsanspruchs unstreitig vor Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses vollständig erfüllt worden, bestehe für die begehrte Kostenfestsetzung kein Rechtsschutzbedürfnis (OLG Celle RVGreport 2019, 301 [Hansens] = JurBüro 2019, 206; OLG Düsseldorf AGS 2004, 309 m. Anm. N. Schneider = JurBüro 2004, 321).
3. Erfüllungswirkung nicht unstreitig
Vorliegend war nach Auffassung des VG Frankfurt (Oder) die als solche unstreitige Zahlung des Erstattungsbetrages deshalb nicht zu berücksichtigen, weil die Erfüllungswirkung der erfolgten Zahlung nicht offensichtlich oder unstreitig sei. Vielmehr habe der Erstattungspflichtige die während des Festsetzungsverfahrens erfolgte Zahlung unter Vorbehalt geleistet. Den Grund für den Vorbehalt habe er nicht offengelegt. Vielmehr habe er sich weiter gegen den Kostenfestsetzungsantrag gewandt. Dieses Verhalten hat das VG Frankfurt (Oder) dahin ausgelegt, dass die Zahlung das Kostenfestsetzungsverfahren nicht beeinflussen solle und der Erstattungsberechtigte weiterhin die Darlegungs- und Beweislast für den geltend gemachten prozessualen Kostenerstattungsanspruch tragen solle. Insoweit hat das VG Frankfurt (Oder) auf die Rspr. des BGH zur Erfüllungswirkung einer Zahlung unter Vorbehalt verwiesen. Der BGH (BGHR ZPO § 91a Abs. 1 S. 1 "Erledigung 2") hatte entschieden, dass dann, wenn der Schuldner in der Weise unter Vorbehalt leistet, dass dem Leistungsempfänger in einem späteren Rückforderungsrechtsstreit die Beweislast für das Bestehen des Anspruchs auferlegt werden soll, die Schuldtilgung in der Schwebe bleibe und Erfüllung nicht eintrete.
III. Bedeutung für die Praxis
Der Entscheidung des VG Frankfurt (Oder) ist zuzustimmen. Zwar war hier die Zahlung des Erstattungsbetrages al solche unstreitig. Nicht offensichtlich und wohl auch nicht unstreitig war indes die Frage, ob durch diese Zahlung auch die Erfüllungswirkung eingetreten war. Dies hat das VG zu Recht verneint. Denn nur eine unstreitig vorbehaltlose Zahlung ist im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen (s. OLG Düsseldorf AGS 2004, 309 m. Anm. N. Schneider).
1. Berücksichtigung des Zahlungseinwandes
Vorliegend hatte der Erinnerungsführer seinen Zahlungseinwand im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 164 VwGO erhoben. Ein derartiger Einwand wird in der Praxis aber auch häufig im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 11 RVG vorgebracht. Bei der Behandlung des Einwandes bestehen in den beiden Verfahren jedoch erhebliche Unterschiede, die nachfolgend verdeutlich werden sollen.
2. Berücksichtigung des Zahlungseinwandes im Kostenfestsetzungsverfahren
Während im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach § 11 RVG ein materiell-rechtlicher Einwand, der nicht völlig haltlos ist, zur Ablehnung der Festsetzung gem. § 11 Abs. 5 S. 1 RVG führt, ist ein solcher Einwand im Kostenfestsetzungsverfahren grds. nicht zu berücksichtigen. Das Kostenfestsetzungsverfahren ist nämlich zur Klärung streitiger Fragen nicht vorgesehen und auch nicht geeignet (BGH RVGreport 2007, 110 [Hansens]; BGH RVGreport 2006, 223 [Ders.] = AGS 2007, 219; OLG Celle RVGreport 2017, 159 [Ders.] = AGS 2018, 39: Nichtigkeit des Anwaltsvertrages; BVerwG RVGreport 2008, 58 [Ders.] = JurBüro 2008, 142: Gebührenverzicht aufgrund einer außergerichtlichen Vereinbarung).
Ausnahmsweise können materiell-rechtliche Einwendungen im Kostenfestsetzungsverfahren dann berücksichtigt werden, wenn es um Einwendungen geht, die keine Tatsachenaufklärung erfordern und sich mit den im Kostenfestsetzungsverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln ohne Weiteres ...