§ 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO

Leitsatz

Ein Pflichtverteidigerwechsel kommt nur in Betracht, wenn entweder das Vertrauensverhältnis zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten endgültig zerstört oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet ist.

BGH, Beschl. v. 22.2.2022 – StB 2/22 u. StB 3/22

I. Sachverhalt

Das KG hat den Angeklagten am 4.6.2021 u.a. wegen eines Kriegsverbrechens gegen Personen mit Beihilfe zum Mord sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Jugendstrafe verurteilt. Nach Revisionseinlegung und Zustellung des Urteils am 20.12.2021 haben der Angeklagte sowie sein Pflichtverteidiger Rechtsanwalt H. beantragt, dessen Bestellung aufzuheben und dem Angeklagten einen neuen zweiten Pflichtverteidiger beizuordnen. Der Vorsitzende des Strafsenats des KG hat die Anträge zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich der Angeklagte und Rechtsanwalt H. mit ihren sofortigen Beschwerden. Die Rechtsmittel hatten keinen Erfolg.

Rechtsanwalt H. und der Angeklagte hatten die Anträge auf Verteidigerwechsel mit folgendem Verfahrensgeschehen begründet: Das KG hatte in seinem Urteil im Rahmen der Würdigung einer Zeugenaussage unter der Zwischenüberschrift "(cc) Weitere Beeinflussungsversuche aus der Sphäre der Angeklagten gegenüber Belastungszeugen“ ausgeführt, dass ein anderer Zeuge unter Berufung auf sein Auskunftsverweigerungsrecht vor dem Strafsenat keine Angaben mehr habe machen wollen. Die Vernehmung eines Rechtsanwalts dieses Zeugen habe ergeben, dass er durch Vermittlung des Rechtsanwalts H. von dem seinerzeit inhaftierten Zeugen als Wahlverteidiger für dessen eigenes Verfahren mandatiert worden sei. Der Rechtsanwalt H. habe ihm bereits im Vorfeld zugesichert, dass seine Tätigkeit als Wahlverteidiger bezahlt werde. Dementsprechend habe er im September 2017 nach Beendigung seiner Tätigkeit eine Gebührenrechnung an den Rechtsanwalt H. gestellt. Diese sei am 14.5.2018 – genau sieben Tage nach dem Freispruch des Angeklagten in einem anderen, wegen Betäubungsmitteldelikten geführten Verfahren, in dem der Zeuge ausgesagt hatte – zum überwiegenden Teil beglichen worden. Das KG hatte "dieses Geschehen als – ihm in solcher Unverfrorenheit noch nicht untergekommenen – Beleg für die Bereitschaft und zumindest vorübergehend erfolgreich genutzte Möglichkeiten eines Verteidigers der Angeklagten, missliebige Zeugenaussagen der Wahrheit zuwider und zugunsten der Angeklagten in einer mit der Rechtsordnung nach Auffassung des Senats nicht mehr zu vereinbarenden Weise zu manipulieren", bewertet.

II. Kein Grund für Pflichtverteidigerwechsel

Nach Auffassung des BGH hat das für einen Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO nicht ausgereicht.

Eine Störung des Vertrauensverhältnisses sei aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen (s. BGH, Beschl. v. 15.6.2021 – StB 24/21, StRR 8/2021, 16 m.w.N.). Abgesehen von den Ausführungen des KG in den Urteilsgründen, die nach Auffassung des Rechtsanwalts H. und des Angeklagten zu einem Interessenkonflikt führen sollen, werde in Bezug auf das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt H. und dem Angeklagten nichts vorgebracht. Zudem sei dem Angeklagten das im Urteil dargestellte, seinen Pflichtverteidiger betreffende Geschehen bereits durch einen in der Hauptverhandlung am 20.9.2019 verkündeten Senatsbeschluss bekannt geworden. In diesem hatte das KG den Hergang mit Ausnahme der von ihm daraus gezogenen Wertung ebenso wie im Urteil dargestellt. Daraufhin habe keiner der beiden einen Pflichtverteidigerwechsel beantragt.

Ein konkret manifestierter Interessenkonflikt, der eine mindere Effektivität des Einsatzes des Verteidigers befürchten lasse (BGH StRR 4/2020, 15 = RVGreport 2020, 239 = StraFo 2020, 199, und BGHSt 48, 170, 173), sei nicht gegeben. Es sei bereits nicht ersichtlich, wie sich der vorgebrachte Konflikt zwischen einer Verteidigung des Angeklagten und einer vom Verteidiger für notwendig erachteten eigenen Verteidigung auf das Revisionsverfahren zu Lasten des Angeklagten auswirken solle Da es sich bei der Revision um ein auf die Rechtsprüfung beschränktes Rechtsmittel handele (BGH NStZ 2019, 745), ergebe sich nicht, dass Rechtsanwalt H. in einer sachgerechten Verteidigung des Angeklagten beschränkt sei, selbst wenn er es für erforderlich halte, den im Rahmen der Beweiswürdigung vom KG erhobenen, ihn betreffenden Beanstandungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht entgegenzutreten. Dass sich Rechtsanwalt H. infolge der Urteilsausführungen als nicht mehr "unbefangen" ansehe, führe – so der BGH – zu keinem anderen Ergebnis. Für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung komme es nicht entscheidend auf ein solches Selbstverständnis des Verteidigers an, sondern auf eine angemessene Verteidigung des Angeklagten im aktuellen Revisionsverfahren. Ähnlich wie Spannungen zwischen Gericht und Verteidigern nicht regelmäßig die Besorgnis begründen, die Richter würden dem Angeklagten nicht mehr unbefange...

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