Im Regelfall bedürfe die Bestellung eines Verteidigers einer ausdrücklichen Verfügung des zuständigen Richters. An einer solchen fehle es, da keine formelle Beiordnung von Rechtsanwältin L. erfolgt sei. Sie sei aber – so das OLG – stillschweigend durch den Vorsitzenden beigeordnet worden.
In der Rspr. sei anerkannt, dass eine Bestellung eines Verteidigers in Ausnahmefällen durch das betreffende Gericht auch aufgrund schlüssigen Verhaltens erfolgen könne (vgl. u.a. BGH StraFo 2015, 37 = StV 2015, 739; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., 2021, § 142 Rn 17 m.w.N.; w.N. auch bei Hillenbrand, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 3651 und Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Teil A Rn 2388). Voraussetzung für eine konkludente Verteidigerbestellung sei ein Verhalten des zuständigen Richters, das unter Beachtung aller hierfür maßgebenden Umstände zweifelsfrei einen solchen Schluss rechtfertige. Die maßgebenden Umstände und das Verhalten des zuständigen Richters seien dabei so auszulegen, wie sie aus der Sicht eines verständigen und redlichen Beteiligten aufzufassen sind.
Hieran gemessen habe Rechtsanwältin L. nach der ausdrücklichen Ankündigung des Vorsitzenden in der E-Mail vom 20.11.2020, sie als Sicherungsverteidigerin zu bestellen, die anschließend erfolgenden Terminabsprachen und die Ladung zu den abgesprochenen Terminen so verstehen müssen, dass sie dem Angeklagten als Sicherungsverteidigerin beigeordnet worden sei. Denn ohne ihre Beiordnung hätte jedenfalls an vier avisierten Terminen die Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden können. Im Hinblick auf die Dauer der Untersuchungshaft – und die zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgte Haftfortdauerentscheidung nach 6 Monaten – habe der Vorsitzende – die durch die vorgenannte E-Mail aktenkundige – Absicht, durch Bestellung von Sicherungsverteidigern für beide Angeklagten eine zeitnahe Durchführung der Hauptverhandlung zu ermöglichen gehabt. Mangels aktenkundiger Gründe, die im weiteren Verlauf gegen die Beiordnung von Rechtsanwältin L. hätten sprechen können, sei davon auszugehen, dass anders als im Falle von Rechtsanwältin W. die formelle Beiordnung von Rechtsanwältin L. aufgrund gerichtsinterner Abläufe versehentlich vergessen worden sei. Spätestens aber das ohne Hinweis auf eine Tätigkeit als Wahlverteidigerin – hierzu hätte im Hinblick auf die E-Mail vom 20.11.2020 aus Sicht des Angeklagten und von Rechtsanwältin L. Anlass bestanden – erfolgende Mitwirkenlassen an der Hauptverhandlung ab dem 25.1.2021 und die Aufrechterhaltung der Termine, in denen allein eine Vertretung durch Rechtsanwältin L. gewährleistet wurde, konnte aus Sicht des Angeklagten und von Rechtsanwältin L. nur im Sinne einer Beiordnung ausgelegt werden.