Nr. 5115 VV RVG
Leitsatz
Der Umstand, dass es in einem anwaltlichen Schreiben heißt, die Mandantschaft werde derzeit von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen, ändert nichts daran, dass der Inhalt des Schreibens objektiv geeignet ist, die endgültige Verfahrenseinstellung zu fördern.
AG Strausberg, Urt. v. 29.3.2022 – 9 C 166/21
I. Sachverhalt
Der beklagte Rechtsanwalt wird von der Rechtsschutzversicherung seines ehemaligen Mandanten auf Rückzahlung eines Teilbetrages i.H.v. 190,40 EUR (Nr. 5115 VV zzgl. anteiliger Umsatzsteuer) aus einem von der Versicherung geleisteten Vorschuss aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1. BGB. in Anspruch genommen. Die Klage hatte keinen Erfolg.
II. Passivlegitimation des Rechtsanwalts
Nach Auffassung des AG scheitert die Klage bereits daran, dass der Beklagte nicht passivlegitimiert ist. Bei der Vorschusszahlung der klagenden Rechtsschutzversicherung handele es sich um eine Leistung kraft Anweisung. Die Versicherungsnehmerin habe, vertreten durch den Beklagten, die Klägerin angewiesen, die fällige Versicherungsleistung an den Beklagten zu zahlen. Mit dem Vollzug dieser Anweisung habe die Klägerin ihre im sogenannten Deckungsverhältnis fällige Verbindlichkeit aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag gegenüber der Versicherungsnehmerin erfüllen wollen. Die Versicherungsnehmerin habe durch den Vollzug der der Klägerin erteilten Weisung ihre im sogenannten Valutaverhältnis fällige Verbindlichkeit aus dem Rechtsbesorgungsvertrag gegenüber dem Beklagten tilgen wollen. Die Parteien des Rechtsstreits stünden zueinander nur im sogenannten Vollzugsverhältnis und hätten miteinander keine bereicherungsrechtlich relevante Leistungsbeziehung. In Anweisungsfällen müsse der Bereicherungsausgleich aber nach st. Rspr. (u.a. BGH NJW 2003, 582; 2004, 1315; 2008, 2331) innerhalb der jeweiligen Leistungsverhältnisse erfolgen. Etwaige vertragliche Regelungen zwischen der Rechtsschutzversicherung und der Versicherungsnehmerin, die eine unmittelbare Geltendmachung eines Rückforderungsanspruchs gegen den beklagten Rechtsanwalt zulassen, seien nicht ersichtlich.
III. Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV
Das AG weist weiter darauf hin, dass selbst wenn der Beklagte der richtige Anspruchsgegner wäre, der Klägerin der geltend gemachte Rückerstattungsanspruch nicht zustünde. Denn die im Streit stehende Gebühr nach Nr. 5115 VV sei, da das gegen die Versicherungsnehmerin/Betroffene vor der Verwaltungsbehörde eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren durch die Mitwirkung des Beklagten endgültig eingestellt worden sei, entstanden.
Der Beklagte habe sich mit Schreiben vom 29.9.2018 an die Zentrale Bußgeldstelle des Landes Brandenburg gewandt, die Vertretung der Betroffenen angezeigt, um Akteneinsicht gebeten und darüber hinaus erklärt, dass seine Mandantschaft derzeit von ihrem Schweigerecht Gebrauch mache und eine Stellungnahme ggfs. binnen drei Wochen nach Gewährung vollständiger Akteneinsicht erfolge. Durch dieses Schreiben habe der Beklagte bei der endgültigen Einstellung des Verfahrens mitgewirkt. Denn der Inhalt des Schreibens sei objektiv geeignet gewesen, die endgültige Verfahrenseinstellung zu fördern. Der Umstand, dass es in dem anwaltlichen Schreiben heiße, die Mandantschaft werde derzeit von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen, ändere hieran nichts. Anhand der Äußerung sei nämlich zu vermuten gewesen, dass sich die Betroffene nach der Akteneinsicht auch weiterhin und damit endgültig auf ihr Schweigerecht berufen würde, wenn sich nach der durch den Beklagten genommenen Akteneinsicht externe Beweismöglichkeiten nicht abzeichnen würden, die Bußgeldstelle also allein auf die Bestätigung durch die Betroffene angewiesen wäre. Der Bußgeldstelle sei folglich schon nach dieser Äußerung eine umfassende Würdigung der Beweislage möglich gewesen, die offenkundig die Entscheidung über die endgültige Verfahrenseinstellung beeinflusst habe. Unter Berücksichtigung dieser Umstände könne daher auch der konkreten Äußerung des Beklagten im vorliegenden Fall die erforderliche objektive Eignung der Förderung einer endgültigen Verfahrenseinstellung nicht abgesprochen werden.
IV. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung ist in beiden Punkten zutreffend. Zu Punkt 2 hat vor kurzem das AG Augsburg (AGS 2022, 69) ähnlich entschieden. Ich wiederhole allerdings meinen dortigen Hinweis: Der Verteidiger sollte das "Derzeit" weglassen. Denn diese Formulierung ändert in der Sache nichts, da die Mitteilung, dass geschwiegen wird, ja nicht bedeutet, dass das für alle Zukunft gilt. Lässt man aber das "Derzeit" weg, erspart man sich Diskussionen mit der Rechtsschutzversicherung über die Qualität des Einspruchschreibens (zu allem auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Nr. 5115 VV Rn 10 ff. und Nr. 4141 VV Rn 12 ff., jeweils m.w.N.).
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 7/2022, S. 316 - 317