1. Gesetzliche Grundlage
Ein Rechtsanwalt darf Zweigstellen betreiben, also weitere unselbstständige Geschäftsräume an einem anderen Ort. Die Errichtung einer solchen Zweigstelle ist der eigenen Rechtsanwaltskammer unverzüglich anzuzeigen (§ 27 Abs. 2 BRAO). Eine Zweigstelle ist auch im Bezirk einer anderen Rechtsanwaltskammer zulässig. Eine Mitgliedschaft in dieser Rechtsanwaltskammer ist damit aber nicht verbunden.
Mehrere Kanzleien an verschiedenen Orten können sich andererseits aber auch zu einer überörtlichen Sozietät, einer überörtlichen Partnerschaftsgesellschaft, GmbH oder AG zusammenschließen. In diesem Fall werden nicht (unselbstständige) "Zweigstellen" unterhalten, sondern eigenständige Kanzleien mit eigenen Anwälten, die am jeweiligen Kanzleistandort tätig und zugelassen sind. Das kann je nach örtlichen Gegebenheiten auch dazu führen, dass die Mitglieder einer überörtlichen Sozietät, Partnerschaft, GmbH oder AG bei verschiedenen Rechtsanwaltskammern zugelassen sind.
2. Kostenerstattung bei Zweigstellen
Unterhält ein Anwalt eine Zweigstelle, betreibt er also neben seiner Kanzlei am Hauptsitz weitere Kanzleiräume an einem anderen Ort, dann sollen nach der Rspr. beide Standorte zum Betrieb derselben Kanzlei gehören (OLG Koblenz NJW-RR 2015, 1408 = AGS 2015, 507 = NJW-Spezial 2015, 699 = FamRZ 2016, 256 = MDR 2015, 860; OLG Dresden AGS 2011, 275 = NJW 2011, 869 = Rpfleger 2011, 240 = RVGreport 2011, 145 = RVGprofessionell 2011, 87). Die Kanzlei des Anwalts habe also faktisch mehrere Geschäftssitze. Dies führt wiederum dazu, dass eine Geschäftsreise nur dann vorliegt, wenn das Ziel der Reise weder am Ort des Hauptsitzes noch am Ort einer Zweigstelle liegt, also an einem dritten Ort.
Beispiel
Der Anwalt hat seine (Haupt-)Kanzlei in München und eine Zweigstelle in Augsburg.
In diesem Fall erhält der Anwalt weder für Geschäftsreisen zum Gericht in München noch zum Gericht in Augsburg Reisekosten, weil seine Kanzlei als an beiden Orten ansässig anzusehen ist.
Insoweit ist es auch unerheblich, von wo der Anwalt anreist. Hat der Anwalt also bspw. einen Termin beim AG Augsburg wahrzunehmen und reist er zu diesem Termin von seinem Hauptsitz in München an, kann er nach der Rspr. dennoch keine Reisekosten verlangen, weil es tatbestandlich bereits an einer Geschäftsreise i.S.d. Vorbem. 7 Abs. 2 VV fehlt.
Diese Rspr. widerspricht allerdings der Rspr. zur Ortsverschiedenheit von Wohnsitz und Kanzleisitz des Anwalts. Nach Vorbem. 7 Abs. 2 VV liegt eine Geschäftsreise auch dann nicht vor, wenn der Anwalt am Ort des Gerichtes wohnt, seine Kanzlei allerdings außerhalb hat. Hier stellt die Rspr. jedoch darauf ab, ob der Anwalt von seiner Kanzlei oder von seinem Wohnort aus zum Gericht fährt.
Beispiel
Der Anwalt wohnt in Augsburg und hat seine Kanzlei (nur) in München. Er nimmt an einem Gerichtstermin in Augsburg teil.
Fährt der Anwalt morgens von Zuhause zum Gerichtstermin, dann liegt nach der Rspr. keine Geschäftsreise vor. Fährt er dagegen morgens vor dem Termin noch in seine Kanzlei nach München und anschließend dann zum Termin nach Augsburg, wird von der Rspr. eine Geschäftsreise angenommen und die dadurch angefallenen Kosten werden als erstattungsfähig angesehen (OLG Düsseldorf AGS 2012, 167 = NJW-RR 2012, 764).
3. Kostenerstattung bei verschiedenen Kanzleien
Anders verhält es sich, wenn eine Rechtsanwaltsgemeinschaft mehrere eigenständige Kanzleien an verschiedenen Orten betreibt. In diesem Fall liegt auch dann eine Geschäftsreise vor, wenn der Anwalt einer Kanzlei zu einem Gerichtstermin an einen Ort anreist, an dem sich ein weiterer Standort befindet. Dies gilt sowohl für eine überörtliche Partnerschaft (BVerwG AnwBl 2017, 1006 = zfs 2017, 586 = NJW 2017, 3542) als auch für eine überörtliche Sozietät (BGH AGS 2008, 368 = FamRZ 2008, 1241 = NJW 2008, 2122 = MDR 2008, 829 = Rpfleger 2008, 433 = JurBüro 2008, 430 = AnwBl 2008, 552 = RVGreport 2008, 267 = RVGprofessionell 2008, 165).
Beispiel
Die überörtliche Partnerschaftsgesellschaft unterhält Standorte in Köln, Hamburg, München und Berlin. Der in Köln wohnende Mandant erteilt in der dortigen Kanzlei das Mandat, das dann auch von einem dortigen Anwalt bearbeitet wird. Später kommt es zu einem Gerichtstermin vor dem LG Berlin, zu dem der Anwalt aus Köln anreist.
In diesem Fall liegt eine Geschäftsreise vor, obwohl die Partnerschaftsgesellschaft in Berlin auch eine eigene Kanzlei unterhält. Die Reisekosten sind auch erstattungsfähig. Es besteht keine Obliegenheit, für die Wahrnehmung des Termins einen Anwalt aus Berlin zu beauftragen. Ein Mandant hat grds. das Recht, dass ihn "sein" Anwalt an "seinem" Standort auch im Termin vertritt. Es liegt weder im Interesse des Mandanten noch des Anwalts, für die Wahrnehmung des Termins einen anderen Anwalt zu beauftragen, der sich dann erst in die Sache einarbeiten muss.
Einschränkend sieht dies allerdings das LG Tübingen (Beschl. v. 12.1.2021 – 5 T 3/21). Danach soll bei mehreren Standorten die Obliegenheit bestehen, den gerichtsnächsten ...