1. Nicht überzeugende/falsche Ansicht
Mich überzeugt diese Begründung, wenn man das denn als "Begründung" anerkennt, nicht, diese Argumentation hat mich übrigens noch nie überzeugt. Sie ist falsch und wird nicht dadurch richtig, dass sie von der Rspr. wie ein Mantra immer wieder wiederholt wird, ohne dass man es – leider auch mal wieder hier – für notwendig ansieht, sich mit der abweichen Literaturauffassung auseinander zu setzen (vgl. dazu die eingehenden Ausführungen bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Nr. 4142 VV Rn 27 ff. m.w.N. und auch Burhoff, RVGreport 2014, 410). Da ist es dem LG auch völlig gleichgültig, dass z.B. auch Meyer-Goßner/Schmitt (vgl. § 464 Rn 10) es anders sieht. Man denkt: "Mia san eben mia" und was die Lit. einwendet, interessiert uns nicht. Damit setzen wir uns – wie hier das LG – auch gar nicht erst auseinander. Und uns interessiert auch nicht, dass einige Gerichte – immerhin (!) – es anders machen (vgl. die Nachw. bei Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O.). Die sind dann eben genau so wenig schlau wie die Vertreter der anderen Ansicht in der Lit. Es ist peinlich. Und die Auffassung ist falsch. Denn natürlich ist ein Handeln des Verteidigers als Beistand (!!) des Angeklagten gerade auch in diesen Fällen "angezeigt". Denn gerade in diesen Fällen wird beim Verteidiger ja Rat gesucht, wie es weitergeht. Und den Rat gibt es dann kostenlos? Nein, das ist falsch. Ich weiß auch nicht, warum LG und OLG diese falsche Ansicht dauernd wiederholen. Die sind doch dort alle so schlau, jedenfalls tut man so.
2. Besonderheiten des konkreten Falles
Und hier ist/war es m.E. besonders frech. Denn hier hatten wir – so die Mitteilung der Kollegin, die mir die falsche Entscheidung geschickt hat – folgende "Zwischengeschehen".
Zitat
“Hintergrund war Folgendes: Mein Mandant, dem ich als PfV beigeordnet war, wurde erstinstanzlich freigesprochen. Die StA wollte eine Verurteilung wegen Betrugs zu 2 J 10 M und die Einziehung i.H.v. 181.500,00 EUR. Nach dem Freispruch kündigte die StA lauthals an, Rechtsmittel hiergegen einlegen zu wollen. Das LG würde dieses Urteil sicher nicht halten, hieß es.
Nachdem die Begründung des Urteils vom AG pp. kam, habe ich ein Schreiben dorthin geschickt und gegenüber der StA die Rücknahme der Berufung anheim gestellt. Dass die StA tatsächlich zurücknehmen würde, hätte ich niemals erwartet.
Dem Mandanten ging der A… auf Grundeis, insbesondere wegen der drohenden Einziehung. Dementsprechend erfolgte naturgemäß auch eine Beratung, wie das Ganze nun weitergeht.
Tatsächlich nahm die StA aber die Berufung nach meinem Schreiben zurück.“
Das war also nicht eine "sachgerechte und sinnvolle Tätigkeit", was die Pflichtverteidigerin hier getan hat? Den Mandanten beraten und sich an die Staatsanwaltschaft in einem Verfahren wenden, in dem dann nach Freispruch ggf. doch wieder eine nicht aussetzungsfähige Freiheitsstrafe und die Einziehung von 181.550,00 EUR im Raum stehen. Man versteht die Ignoranz der Kammer nicht. Sie ist in meinen Augen frech, zumal die Begründung mit keinem Wort auf den Verfahrensverlauf eingeht. Man hätte auch schreiben können: Gibt es nicht, haben wir immer schon so gemacht. Dann wäre man noch schneller mit "ander Leuts" Geld "fertig gewesen". So hat man – leider – den Eindruck, dass es nur darum geht, wegen der im Raum stehenden Einziehung erhebliche Erstattungsansprüche abzubügeln.
3. Positiv
Ach so: Das einzig Positive an der Entscheidung ist, dass man nicht auch noch den – leider häufig anzutreffenden – Fehler gemacht hat und davon ausgeht, dass die Gebühren Nrn. 4124, 4142 VV – ggf. auch Nr. 4141 VV – gar nicht entstanden sind (so aber das OLG Stuttgart, a.a.O., für die Nr. 4124 VV). Wenigstens das hat man begriffen und geht "nur" davon aus, dass die entstandenen Gebühren eben nicht erstattet werden (vgl. dazu meine Anmerkung u.a. bei OLG Stuttgart, a.a.O.).
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 7/2024, S. 320 - 321