§ 55 RVG; §§ 464a, 467 StPO
Leitsatz
Gebühren für das Rechtsmittelverfahren (hier: Berufung) sind nicht erstattungsfähig, wenn die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel zurücknimmt, bevor das Rechtsmittel begründet worden ist. Bei in der Zwischenzeit entstandenen Anwaltsgebühren handelt es sich nicht um notwendige Auslagen.
LG Karlsruhe, Beschl. v. 20.6.2024 – KO 3 Qs 20/24
I. Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft hatte gegen Freispruch des Angeklagten durch das AG Berufung eingelegt. Diese hat sie dann noch vor Begründung zurückgenommen. Gestritten wird jetzt noch um die Frage, inwieweit auch Gebühren für das Berufungsverfahren erstattungsfähig sind. Das Rechtsmittel der Pflichtverteidigerin gegen die Entscheidung des AG, mit der die Gebühren verwehrt worden sind, hatte keinen Erfolg.
II. Keine "notwendigen Auslagen"
Das LG geht davon aus, dass es bei den für das Berufungsverfahren geltend gemachten Gebühren im Ergebnis nicht um "notwendige Auslagen" handelt. Dabei verkenne man nicht, dass diese Frage in Lit. und Rspr. umstritten sei. Während große Teile der Lit. die Meinung vertreten, dass jedes Tätigwerden des Verteidigers in diesem Verfahrensstadium notwendig sei, bestehe in der Rspr. jedenfalls für die Revision überwiegend Einigkeit, dass ein Handeln des Verteidigers vor Eingang der Revisionsbegründung nicht angezeigt sei (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.2.2021 – 2 Ws 246/20, AGS 2021, 171, m.w.N.). Der letztgenannten Auffassung schließe sich die Kammer an, da in diesem Verfahrensstadium ein Tätigwerden des Verteidigers zwecklos sei. Für eine sachgerechte und sinnvolle Tätigkeit bestehe in dieser Zeit regelmäßig keine Veranlassung, eine Beratung könne sich allenfalls auf hypothetische Angriffsziele des Rechtsmittels beziehen. Allein das subjektive Bedürfnis des Verurteilten nach einer Beratung lasse eine solche nicht als notwendig erscheinen.
Diese Maßstäbe gelten – so das LG – auch für die Berufung. Die Kammer halte insoweit an ihrer Auffassung aus dem Beschl. v. 26.3.2012 (3 Qs 22/12 KO) fest. Zwar sehe § 344 StPO eine Begründungspflicht nur für das Rechtsmittel der Revision vor, während das Rechtsmittel der Berufung nach § 317 StPO eine Begründung nicht zwingend vorsehe. Gleichwohl sei die Staatsanwaltschaft nach Nr. 156 Abs. 1 RiStBV zur Begründung eingelegter Berufungen verpflichtet, ihre Einlegung und Begründung seien dem Verteidiger zuzustellen. Daher sei es einem Angeklagten grds. auch bei der Berufung zumutbar, auf die Rechtsmittelbegründung zu warten, um erst anschließend mit seinem Verteidiger die notwendigen Maßnahmen zur Verfolgung seiner Interessen zu ergreifen (so auch OLG Stuttgart, a.a.O., m.w.N.).
III. Bedeutung für die Praxis
1. Nicht überzeugende/falsche Ansicht
Mich überzeugt diese Begründung, wenn man das denn als "Begründung" anerkennt, nicht, diese Argumentation hat mich übrigens noch nie überzeugt. Sie ist falsch und wird nicht dadurch richtig, dass sie von der Rspr. wie ein Mantra immer wieder wiederholt wird, ohne dass man es – leider auch mal wieder hier – für notwendig ansieht, sich mit der abweichen Literaturauffassung auseinander zu setzen (vgl. dazu die eingehenden Ausführungen bei Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Nr. 4142 VV Rn 27 ff. m.w.N. und auch Burhoff, RVGreport 2014, 410). Da ist es dem LG auch völlig gleichgültig, dass z.B. auch Meyer-Goßner/Schmitt (vgl. § 464 Rn 10) es anders sieht. Man denkt: "Mia san eben mia" und was die Lit. einwendet, interessiert uns nicht. Damit setzen wir uns – wie hier das LG – auch gar nicht erst auseinander. Und uns interessiert auch nicht, dass einige Gerichte – immerhin (!) – es anders machen (vgl. die Nachw. bei Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O.). Die sind dann eben genau so wenig schlau wie die Vertreter der anderen Ansicht in der Lit. Es ist peinlich. Und die Auffassung ist falsch. Denn natürlich ist ein Handeln des Verteidigers als Beistand (!!) des Angeklagten gerade auch in diesen Fällen "angezeigt". Denn gerade in diesen Fällen wird beim Verteidiger ja Rat gesucht, wie es weitergeht. Und den Rat gibt es dann kostenlos? Nein, das ist falsch. Ich weiß auch nicht, warum LG und OLG diese falsche Ansicht dauernd wiederholen. Die sind doch dort alle so schlau, jedenfalls tut man so.
2. Besonderheiten des konkreten Falles
Und hier ist/war es m.E. besonders frech. Denn hier hatten wir – so die Mitteilung der Kollegin, die mir die falsche Entscheidung geschickt hat – folgende "Zwischengeschehen".
Zitat
“Hintergrund war Folgendes: Mein Mandant, dem ich als PfV beigeordnet war, wurde erstinstanzlich freigesprochen. Die StA wollte eine Verurteilung wegen Betrugs zu 2 J 10 M und die Einziehung i.H.v. 181.500,00 EUR. Nach dem Freispruch kündigte die StA lauthals an, Rechtsmittel hiergegen einlegen zu wollen. Das LG würde dieses Urteil sicher nicht halten, hieß es.
Nachdem die Begründung des Urteils vom AG pp. kam, habe ich ein Schreiben dorthin geschickt und gegenüber der StA die Rücknahme der Berufung anheim gestellt. Dass die StA tatsächlich zurücknehmen würde, hätte ich niemals erwartet.
Dem Mandant...