Nach dem durch das KostRÄG 2021 zum 1.1.2021 eingefügten § 15a Abs. 2 S. 1 RVG ist der anzurechnende Betrag für jede anzurechnende Gebühr gesondert zu ermitteln, wenn mehrere Gebühren teilweise auf dieselbe Gebühr anzurechnen sind.
Bei Wertgebühren darf gem. § 15a Abs. 2 RVG der Gesamtbetrag der Anrechnung jedoch denjenigen Anrechnungsbetrag nicht übersteigen, der sich ergeben würde, wenn eine Gebühr anzurechnen wäre, die sich aus dem Gesamtbetrag der betroffenen Wertteile nach dem höchsten für die Anrechnungen einschlägigen Gebührensatz berechnet.
a) Anrechnung mehrerer Verfahrensgebühren
Die vollständige Anrechnung mehrerer Gebühren auf dieselbe Gebühr kann sich insbesondere bei Verfahrensgebühren ergeben. Zur Verdeutlichung dient folgendes Beispiel:
Beispiel 6 (Klage und Widerklage)
Rechtsanwalt R wird außergerichtlich für M wegen eines Anspruchs (Wert: 10.000,00 EUR) gegen G tätig. Außerdem verteidigt er M hinsichtlich eines gegen diesen von G geltend gemachten Anspruchs (Wert: 4.000,00 EUR). Im Zivilprozess werden beide Ansprüche von M und G im Wege von Klage und Widerklage verfolgt (Streitwert: 14.000,00 EUR).
Daraus ergibt sich nach dem Entwurf des KostRÄG 2025 gem. § 15a Abs. 2 S. 1, 2 RVG folgende Berechnung:
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
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933,40 EUR |
(Wert: 14.000,00 EUR) |
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hierauf nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV, § 15a Abs. 2 S. 1 RVG anzurechnen: |
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0,65 aus 10.000,00 EUR |
– 399,10 EUR |
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0,75 aus 4.000,00 EUR |
– 208,50 EUR |
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höchstens gem. § 15a Abs. 2 S. 2 RVG: |
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0,75 aus 14.000,00 EUR |
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– 538,50 EUR |
Gesamt |
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394,90 EUR |
Der Entwurf erweitert den Anwendungsbereich von § 15a Abs. 2 S. 1 RVG von der teilweisen Anrechnung mehrerer Gebühren auf dieselbe Gebühr auf die vollständige Anrechnung mehrerer Gebühren. § 15a Abs. 2 RVG soll daher auch gelten, wenn mehrere Gebühren nicht nur teilweise, sondern vollständig auf dieselbe Gebühr anzurechnen sind:
Beispiel 7 (Selbstständiges Beweisverfahren)
Rechtsanwalt R wird für M gegen G im selbstständigen Beweisverfahren 1 tätig (Wert: 10.000,00 EUR). Ferner betreibt er ein weiteres selbstständiges Beweisverfahren 2 für M gegen G (Wert: 4.000,00 EUR). Anschließend werden die beiden zugrunde liegenden Ansprüche für M gegen G im Prozess eingeklagt.
Für die selbstständigen Beweisverfahren 1 und 2 sind jeweils besondere Verfahrensgebühren angefallen, weil es sich jeweils um besondere gebührenrechtliche Angelegenheiten handelte.
Rechtsanwalt R hat folgende Verfahrensgebühren (aktuelle Tabelle) berechnet:
Beweisverfahren 1 |
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1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
798,20 EUR |
(Wert: 10.000,00 EUR) |
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Beweisverfahren 2 |
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1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
361,40 EUR |
(Wert: 4.000,00 EUR) |
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Soweit der Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens auch Gegenstand eines Rechtsstreits ist oder wird, wird die Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens nach Vorbem. 3 Abs. 5 VV auf die Verfahrensgebühr des Rechtszugs angerechnet.
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
933,40 EUR |
(Wert: 14.000,00 EUR) |
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hierauf nach Vorbem. 3 Abs. 5 VV, § 15a Abs. 2 S. 1 RVG anzurechnen: |
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1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV für Beweisverfahren 1 |
– 798,20 EUR |
(Wert: 10.000,00 EUR) |
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1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV für Beweisverfahren 2 |
– 361,40 EUR |
(Wert: 4.000,00 EUR) |
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Restbetrag der Verfahrensgebühr für das Prozessverfahren |
0,00 EUR |
§ 15a Abs. 2 S. 1 RVG ist derzeit dem Wortlaut nach nicht anwendbar, weil dort vorausgesetzt wird, dass mehrere Gebühren teilweise auf dieselbe Gebühr anzurechnen sind. Die Verfahrensgebühren des selbstständigen Beweisverfahrens sind aber nicht teilweise, sondern jeweils vollständig (Vorbem. 3 Abs. 5 VV) anzurechnen. Nach Sinn und Zweck der Regelung in § 15a Abs. 2 RVG war auch hier eine Kontrollberechnung vorzunehmen. Künftig ist nach dem Entwurf des KostRÄG 2025 klargestellt, dass sich folgendes (gleiches) Ergebnis für die Anrechnung ergibt:
b) Kombination von teilweiser und vollständiger Anrechnung verschiedener Gebühren auf dieselbe Gebühr
Es kann auch zu der Situation kommen, dass eine Gebühr teilweise, eine weitere Gebühr aber vollständig auf dieselbe Gebühr anzurechnen ist. Hiervon nicht erfasst sind aber Mehrfachanrechnungen oder Kettenanrechnungen (z.B. außergerichtliche Vertretung, dann Mahnverfahren, dann Prozessverfahren; Beratung, dann außergerichtliche Vertretung, Prozessverfahren). Hier kommt es nämlich nicht zur Anrechnung mehrerer Gebühren auf dieselbe Gebühr.
Beispiel 8 (Geschäftsgebühr und Verfahrensgebühr eines Mahnverfahrens)
Rechtsanwalt R wird für M gegen G im Mahnverfahren tätig (Wert: 10.000,00 EUR). Ferner fordert er für M den Gegner G außergerichtlich zur Zahlung einer weiteren Forderung auf (Wert: 4.000,00 EUR). Nach Widerspruch gegen den Mahnbescheid kommt es zum Prozess über die 10.000,00 EUR, in dem die Klage um die 4.000,00 EUR erweitert wird.
Rechtsanwalt R hat folgende Gebühren (aktuelle Tabelle) berechnet:
Mahnverfahren |
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1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV |
614,00 EUR |
(Wert: 10.000,00 EUR) |
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Außergerichtliche Vertretung |
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1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
361,40 EUR |
(Wert: 4.000,00 EUR) |
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