Vorbem. 4 Abs. 2, Nr. 4104 VV RVG
Leitsatz
Der Rat des Rechtsanwalts im vorbereitenden Verfahren, keine Angaben zur Sache machen und nicht bei der Polizei auszusagen, lässt die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren entstehen, auch wenn die schriftliche Vollmacht erst danach ausgestellt wird.
LG Mühlhausen, Beschl. v. 16.4.2024 – 3 Qs 32/24
I. Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft führte gegen den Angeklagten ein Verfahren wegen des Verdachts der Beleidigung gem. §§ 185, 194 StGB. In diesem erließ das AG am 10.6.2022 einen Strafbefehl gegen den Angeklagten. Dagegen hat der Angeklagte durch Schriftsatz seines Wahlverteidigers Einspruch eingelegt. Der daraufhin auf den 11.5.2023 anberaumte Hauptverhandlungstermin wurde nach einer halben Stunde ausgesetzt.
Durch Beschluss des AG ist dann das Verfahren am 21.6.2023 im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung in einem anderen Verfahren wegen Beleidigung in Tateinheit mit Körperverletzung gem. § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt.
Der Verteidiger des Angeklagten hat die Festsetzung der bei ihm entstandenen Gebühren und Auslagen beantragt. Das AG hat die Gebühren weitgehend antragsgemäß festgesetzt. Lediglich die beantragte Terminsgebühr wurde auf 30 % unterhalb der Mittelgebühr gekürzt.
Gegen den Beschluss hat der Bezirksrevisor "Erinnerung" eingelegt. Nach seiner Auffassung hätte die Verfahrensgebühr für das Vorverfahren Nr. 4104 VV i.H.v. 181,50 EUR nicht festgesetzt werden dürfen. Der Verteidiger habe erst am 21.6.2022 mit der Einspruchseinlegung die Vertretung angezeigt. Die Vollmacht datiere auf den 20.6.2022. Damit sei eine Tätigkeit im Geltungsbereich der Gebühr Nr. 4104 VV weder vorgetragen noch aktenkundig.
Der Verteidiger führte demgegenüber aus, es sei aktenkundig, dass er bereits im Geltungsbereich der Vorverfahrensgebühr tätig gewesen sei. Er habe dem Angeklagten noch vor dem 24.5.2022 geraten, keine Angaben zu machen, was dieser gegenüber der ermittelnden Polizeibeamtin mitgeteilt habe. Die Beratung, Mandantengespräche und das Entwerfen einer Verteidigungsstrategie falle in den sachlichen Anwendungsbereich der Nr. 4104 VV. Das Datum der Vollmacht sei unerheblich, die Bestellung könne auch vorher formlos erfolgen.
Der Bezirksrevisor hat demgegenüber geltend gemacht, Voraussetzung für die Erfüllung des Gebührentatbestandes einer Verfahrensgebühr sei, dass der Rechtsanwalt einen unbedingten Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit erhalte und er diesen auch annehme. In diesem Rahmen werde regelmäßig die Vollmacht erteilt und auch unterzeichnet. Die sei hier am 20.6.2022 und damit nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens erfolgt. Es könne sein, dass der Angeklagte zuvor einen anwaltlichen Rat eingeholt habe, dies stütze aber kein abgeschlossenes Mandat zur Vollvertretung im Ermittlungsverfahren. Es habe allenfalls eine Beratung i.S.d. § 34 RVG stattgefunden, sodass die Gebühr für die Beratung dann auf die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV anzurechnen sei.
Das LG hat die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors zurückgewiesen.
II. Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren entstanden
Nach Ansicht des LG hat das AG zu Recht sowohl die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV als auch die Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV festgesetzt.
Die Verfahrensgebühr entstehe nach der Legaldefinition "für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information". Ausreichend für den Anfall dieser Gebühr sei jede Tätigkeit des Rechtsanwaltes, die in den Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr fällt. Somit genüge z.B. auch eine Tätigkeit nur gegenüber dem Mandanten wie eine Beratung oder Besprechung (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 26. Aufl., 2023, VV Vorbem. 4 Rn 10). Der Rechtsanwalt sei im vorbereitenden Verfahren, also vor dem Antrag auf Erlass des Strafbefehls, bereits tätig gewesen. Ausweislich der Akte habe sich der Angeklagte am 24.5.2022 bei der Polizeibeamtin gemeldet und mitgeteilt, dass er "auf Anraten seines Rechtsanwaltes" keine Angaben zur Sache machen und nicht bei der Polizei aussagen werde. Der Rechtsanwalt/Verteidiger habe anwaltlich versichert, dass er dieser Rechtsanwalt gewesen sei und seinem Mandanten geraten habe, keine Angaben zu machen.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Verfahrensweise des Bezirksrevisors
Manche Entscheidungen führen bei mir zum Kopfschütteln. So auch das dem Beschluss des LG Mühlhausen vorangegangene Verhalten des Bezirksrevisors. Man fragt sich, warum eigentlich in einer solchen Sache der Bezirksrevisor Rechtsmittel einlegt, obwohl die Sach- und Rechtslage eigentlich so klar ist, dass auch ein Bezirksrevisor erkennen sollte, dass die Festsetzung der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV und der Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV durch das AG zutreffend war. Allerdings setzt das voraus, dass man das erkennen will und sich nicht – wie offenbar hier der Bezirksrevisor – auf einem "Kürzungstrip" befindet und daher unsinnige Einwände erhebt und unsinnige Rechtsmittel einlegt. Die zur Entscheidung über das Rechtsmittel notwendigen Ressourcen hätten sinnvoll ander...