Die Entscheidung ist im Ergebnis zutreffend.

Mit dem zum 1.8.2013 im Rahmen des 2. KostRMoG eingeführten § 17 Nr. 10 a) RVG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass das vorbereitende Verfahren und das nachfolgende gerichtliche Verfahren zwei verschiedene Angelegenheiten sind.

Einer Auslegung des Gesetzes hätte es hier allerdings nicht bedurft, da sich die Rechtsfolge bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Nach § 15 Abs. 2 RVG erhält der Anwalt seine Gebühren und Auslagen in jeder Angelegenheit gesondert. Da es sich beim vorbereitenden Verfahren und dem erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren gem. § 17 Nr. 10. a) RVG um zwei verschiedene Angelegenheiten handelt, ist folglich auch getrennt zu rechnen, so dass die höhere Vergütung für die ersten 50 Seiten in jeder Angelegenheit gesondert geltend gemacht werden kann.[1]

Primär hatte der Gesetzgeber dabei die Streitfrage zur Berechnung der Postentgeltpauschale (Nr. 7002 VV) im Blick. Er wollte klarstellen, dass sowohl für das vorbereitende Verfahren als auch für das erstinstanzliche gerichtliche Verfahren die Postentgeltpauschale gesondert anfällt.

Die Regelung des § 17 Nr. 10 a) RVG beschränkt sich jedoch nicht auf die Postentgeltpauschale. Sie hat auch Auswirkungen auf die Berechnung der Dokumentenpauschale. In jeder Angelegenheit erhält der Anwalt nämlich für die ersten 50 Seiten eine höhere Vergütung als für die restlichen Seiten. Liegen danach aber mit dem vorbereitenden Verfahren und dem erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren zwei verschiedene Angelegenheiten vor, dann ist auch gesondert zu zählen, so dass der Anwalt in jeder Angelegenheit für die ersten 50 Seiten eine höhere Vergütung verlangen kann.

 

Beispiel

Gegen den Beschuldigten wird in einer Strafsache ermittelt. Der Anwalt fertigt einen Aktenauszug von 40 Seiten. Nach Anklageerhebung nimmt der Anwalt erneut Akteneinsicht und fertigt weitere 30 Seiten Aktenauszug.

I. Vorbereitendes Verfahren

 
1. Grundgebühr, Nr. 4100 VV   200,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV   165,00 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
4.

Dokumentenpauschale, Nr. 7000 Nr. 1 Buchst. d) VV,

40 Seiten (einfarbig) x 0,50  EUR/Seite
  20,00 EUR
  Zwischensumme 405,00 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   76,95 EUR
  Gesamt   481,95 EUR

II. Erstinstanzliches Verfahren vor dem Amtsgericht

 
1. Verfahrensgebühr, Nr. 4106 VV   165,00 EUR
2. Terminsgebühr, Nr. 4108 VV   275,00 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
4.

Dokumentenpauschale, Nr. 7000 Nr. 1 Buchst. d) VV,

30 Seiten (einfarbig) x 0,50 EUR/Seite
  15,00 EUR
  Zwischensumme 475,00 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   90,25 EUR
  Gesamt   565,25 EUR

Darüber hinaus hat § 17 Nr. 10 a) RVG auch Bedeutung für künftige Gesetzesänderungen, da die Frage des anzuwendenden Gebührenrechts für jede Angelegenheit gesondert zu prüfen ist.

Das Problem der Kopierkosten stellt sich im Übrigen nicht nur in Strafsachen, sondern auch in Bußgeldsachen.[2] Auch hier hat der Gesetzgeber reagiert mit dem neuen § 17 Nr. 11 RVG. Er hat hier entsprechend klargestellt, dass das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und das nachfolgende gerichtliche Verfahren zwei verschiedene Angelegenheiten sind, so dass auch hier nicht nur gesonderte Postentgeltpauschalen entstehen, sondern auch die Kopierkosten im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und im nachfolgenden erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren gesondert zu berechnen sind.

 

Beispiel

Gegen den Betroffenen wird in einer Bußgeldsache ermittelt (Bußgeld 80,00 EUR). Der Anwalt fertigt im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde einen Aktenauszug von 35 Seiten. Nach Anklageerhebung nimmt der Anwalt erneut Akteneinsicht und fertigt weitere 35 Seiten Aktenauszug.

I. Verfahren vor der Verwaltungsbehörde

 
1. Grundgebühr, Nr. 5100 VV   100,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, Nr. 5103 VV   160,00 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
4.

Dokumentenpauschale, Nr. 7000 Nr. 1 Buchst. d) VV,

35 Seiten (einfarbig) x 0,50 EUR/Seite
  17,50 EUR
  Zwischensumme 297,50 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   56,53 EUR
  Gesamt   354,03 EUR

II. Erstinstanzliches Verfahren vor dem Amtsgericht

 
1. Verfahrensgebühr, Nr. 5109 VV   160,00 EUR
2. Terminsgebühr, Nr. 5110 VV   255,00 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
4.

Dokumentenpauschale, Nr. 7000 Nr. 1 Buchst. d) VV,

35 Seiten (einfarbig) x 0,50 EUR/Seite
  17,50 EUR
  Zwischensumme 452,50 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   85,98 EUR
  Gesamt   538,48 EUR

Norbert Schneider

AGS, S. 383 - 386

[1] Schneider/Thiel, Das neue Gebührenrecht für Rechtsanwälte, 2. Aufl., Rn 1350.
[2] Schneider/Thiel, Das neue Gebührenrecht für Rechtsanwälte, 2. Aufl., Rn 1350.

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