Die Entscheidung ist falsch und geht am eindeutigen Wortlaut des Gesetzes vorbei. In Anm. Abs. 1 zu Nr. 4100 VV heißt es seit Inkrafttreten des 2. KostRMoG wörtlich: "Die Gebühr entsteht neben der Verfahrensgebühr …".
In Rspr. u. Lit. war zuvor die Abgrenzung des Abgeltungsbereichs der Grundgebühr zur Verfahrensgebühr umstritten.
Nach einer Auffassung in der Kommentarliteratur sollten sich die Abgeltungsbereiche von Verfahrens- und Grundgebühr gegenseitig ausschließen. Beide Gebühren seien tatbestandlich voneinander abzugrenzen. Zunächst entstehe die Grundgebühr. Erst wenn deren Abgeltungsbereich beendet sei, beginne der Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr. Begründet wurde dies damit, dass die Grundgebühr anderenfalls keinen eigenen Abgeltungsbereich mehr hätte, da ja sämtliche Tätigkeiten, die zum Entstehen der Grundgebühr führen, zugleich auch die Verfahrensgebühr auslösen würden. Damit wäre die Grundgebühr keine "Garantie-" bzw. "Grundlagengebühr". Das aber gerade habe der Gesetzgeber gewollt. Die Grundgebühr solle einen eigenen Abgeltungsbereich haben, nämlich die Vergütung der ersten Akteneinsicht und der mit der Übernahme des Mandats zusammenhängenden Tätigkeiten. Auch die Rspr. hat diese Auffassung bisher überwiegend vertreten.""
Nach a. A. entstand für den Verteidiger, wenn er sich in den Fall einarbeitete, nicht nur die Grundgebühr, sondern zugleich auch die jeweilige Verfahrensgebühr. Begründet wurde dies damit, dass die Verfahrensgebühr nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes (Vorbem. 4 Abs. 2 VV) "für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information" entstehe. Nun sei es aber nicht möglich, sich in die Sache einzuarbeiten, ohne Informationen entgegenzunehmen und bereits die Verteidigung zu betreiben. Auch die Akteneinsicht gehöre bereits zum Betreiben des Geschäfts. Eine Regelung, dass der Anwendungsbereich der Verfahrensgebühr in Strafsachen – im Gegensatz zu sonstigen Verfahren – später einsetzen soll oder dass die Grundgebühr für einen bestimmten Zeitraum, nämlich den der Einarbeitung, den Anfall der Verfahrensgebühr ausschließt, sei weder dem Gesetz noch seiner Begründung zu entnehmen.
In der Praxis hatten die unterschiedlichen Auffassungen bislang durchaus Bedeutung. Kam es später zu weiteren Tätigkeiten über die Einarbeitung hinaus, wirkte sich die Streitfrage zwar in der Regel nicht aus, weil dann beide Gebühren entstanden waren und dem Verteidiger auch zugesprochen wurden. Wenn sich die Sache jedoch in der Vorbereitungsphase erledigte, wurde von vielen Gerichten nur eine isolierte Grundgebühr zugesprochen und darüber hinaus eine Verfahrensgebühr mit der Begründung abgelehnt, der Abgeltungsbereich der Grundgebühr sei noch nicht verlassen. Dabei waren Bestrebungen der Rechtsprechung zu erkennen, den Anwendungsbereich der Grundgebühr soweit wie möglich auszudehnen, um nicht bereits in dieser frühen Phase des Mandats auch bereits eine Verfahrensgebühr zusprechen zu müssen.
Vom Gesetzgeber beabsichtigt war von vornherein, dass Grund- und Verfahrensgebühr zeitgleich anfallen. Dies ist jetzt durch die hinzugesetzte Formulierung, wonach die Grundgebühr "neben der Verfahrensgebühr" anfällt, klargestellt. Die Auffassung, dass Grund- und Verfahrensgebühr voneinander abzugrenzen seien und die Verfahrensgebühr erst entstehen könne, wenn der Abgeltungsbereich der Grundgebühr beendet sei, kann danach nicht weiter aufrechterhalten werden.
Norbert Schneider
AGS, S. 379 - 381