Leitsatz
Eine den Streitwert erhöhende Hilfsaufrechnung liegt vor, wenn das Gericht die vom Beklagten bestrittene Aktivlegitimation des Klägers bejaht, die Klage aber wegen einer zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung abweist.
LG Lübeck, Beschl. v. 7.7.2015 – 7 T 335/15
1 Sachverhalt
Die Beklagten wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung des AG.
Die Klägerin hatte vor dem AG Klage eingereicht und beantragt, die Beklagten zur Zahlung einer Vergütung von 880,60 EUR sowie Mahnkosten, Auskunftskosten und Zinsen zu verurteilen. Die Beklagten haben in der Klageerwiderung ausgeführt, dass die Aktivlegitimation der Klägerin bestritten werde und dass sie mit einer eigenen Forderung über 5.148,28 EUR aufrechnen. Die Klägerin hat die Forderung der Beklagten bestritten. Das AG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klageforderung zwar der Klägerin zustehe, die Forderung aber durch die Aufrechnung der Beklagten erloschen sei. Den Streitwert hat das AG in seinem Urteil auf 1.861,20 EUR festgesetzt und hierzu unter anderem auf § 45 Abs. 3 GKG verwiesen. Es habe sich bei der Aufrechnung gerade nicht um eine Primäraufrechnung gehandelt.
Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Beschwerde. Bei der Ermittlung des Streitwerts sei unzutreffenderweise von einer Hilfsaufrechnung der Beklagten ausgegangen. Das Bestreiten der Aktivlegitimation und die Aufrechnung seien nebeneinander erklärt worden. Die Aufrechnung stünde nicht in einem Hilfsverhältnis zur Frage der Aktivlegitimation.
Das AG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht vorgelegt.
2 Aus den Gründen
Gegen die in Urteilsform ergangene Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde nach § 68 Abs. 1 S. 1 GKG statthaft. Allerdings hat das AG die falsche Entscheidungsform gewählt. Nach § 63 Abs. 2 S. 1 GKG hat die Streitwertfestsetzung durch Beschluss zu erfolgen. Stattdessen hat das AG den Streitwert im Urteil festgesetzt. Erlässt ein Gericht seine Entscheidung in einer falschen Form, dürfen die Parteien dadurch keinen Rechtsnachteil erleiden. Ihnen steht deshalb sowohl das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form erlassenen Entscheidung zulässig wäre (Grundsatz der "Meistbegünstigung", BGH NJW 2013, 2358 m.w.N.). Der Schutzgedanke der Meistbegünstigung führt allerdings nicht dazu, dass das Rechtsmittel auf dem vom vorinstanzlichen Gericht eingeschlagenen falschen Weg weitergehen müsste; vielmehr hat das Rechtsmittelgericht das Verfahren so weiter zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre (BGH NJW 2013, 2358 m.w.N.). Im vorliegenden Fall ergibt sich aus § 68 Abs. 1 S. 1 GKG, dass das statthafte Rechtsmittel gegen eine erstinstanzliche Streitwertfestsetzung die Beschwerde ist.
Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Beschwerde form- und fristgerecht eingelegt (vgl. § 68 Abs. 1 S. 5 i.V.m. § 66 Abs. 5 S. 1 GKG sowie § 68 Abs. 1 S. 3 GKG). Mit der Beschwerde wird eine Beschwer in eigenen Rechten geltend gemacht. Zudem übersteigt die Beschwerde den Wert des Beschwerdegegenstands von 200,00 EUR (vgl. § 68 Abs. 1 S. 1 GKG).
Die Beschwerde ist überwiegend unbegründet.
Das AG hat zu Recht die Streitwertfestsetzung auf §§ 48 Abs. 1, 45 Abs. 3, 43 Abs. 1 GKG gestützt. Der von dem AG festgesetzte Streitwert ist lediglich um 100,00 EUR zu reduzieren.
Dabei setzt sich der Streitwert aus dem Wert der Klageforderung und dem Wert der Gegenforderung zusammen. Dies ergibt sich aus § 45 Abs. 3 GKG. In dieser Vorschrift heißt es: "Macht der Beklagte hilfsweise die Aufrechnung mit einer bestrittenen Gegenforderung geltend, erhöht sich der Streitwert um den Wert der Gegenforderung, soweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht."
Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 GKG sind gegeben.
Insbesondere haben die Beklagten – entgegen ihrer Annahme – die Aufrechnung lediglich hilfsweise geltend gemacht. Verteidigt sich eine beklagte Partei gegenüber der Klageforderung mehrfach, d.h. beruft sich die beklagte Partei zum einen auf eine Aufrechnung und bestreitet sie zum anderen die anspruchsbegründenden Tatsachen oder/und beruft sie sich gleichzeitig auf sonstige Einreden i.S.d. ZPO, ist die Aufrechnung im Zweifel als Eventualaufrechnung zu werten (Anders/Gehle, Das Assessorexamen im Zivilrecht, 10. Aufl. 2010, Rn G –16). Eine ausdrückliche Erklärung der hilfsweisen Aufrechnung ist hingegen nicht erforderlich (Anders/Gehle, Das Assessorexamen im Zivilrecht, 10. Aufl. 2010, Rn G –16). Dementsprechend ist das Gericht bei einem Bestreiten der Klageforderung und erklärter Aufrechnung gebunden, zunächst über das Bestreiten vollständig zu entscheiden (vgl. RGZ 167, 257). Nur soweit danach die Klage ganz oder teilweise erfolgreich wäre, ist auf die Eventualaufrechnung einzugehen (vgl. RGZ 167, 257). Von dieser Prüfungsreihenfolge kann n...