I.
Die Frage, ob bei Bestellung eines Anwalts nach Klagerücknahme auf die objektive Lage oder auf die subjektive Lage aus Sicht des Beklagten abzustellen sei, war dem BGH bereits in 2018 vorgelegt worden. Die dortige Rechtsbeschwerde war allerdings unzulässig, sodass der BGH in der Sache nicht entschieden hat. Er hat allerdings damals schon darauf hingewiesen, dass er die Rechtslage ähnlich beurteile wie bei der Rechtsmittelrücknahme.
Mit der vorliegenden Entscheidung bestätigt der BGH seine Rechtsprechung, dass es für die Beurteilung, ob Kosten notwendig sind, stets auf subjektive Sicht des Betroffenen ankomme und nicht auf die objektive Lage.
Entsprechend hatte der BGH bereits zu Bestellung eines Anwalts im Rechtsmittelverfahren in Unkenntnis der Rücknahme des Rechtsmittels entschieden. Hier hatte er zwar in einer ersten Entscheidung erklärt, es komme auf die rein objektive Lage an. Wenn ein Rechtsmittel zurückgenommen worden sei, dann sei eine hiernach erfolgte Bestellung des Anwalts objektiv nicht mehr notwendig gewesen. Die dadurch ausgelösten Kosten seien folglich auch nicht erstattungsfähig. Auf die (verschuldete oder unverschuldete) Unkenntnis des Rechtsmittelbeklagten von der Berufungsrücknahme komme es nicht an. Denn die subjektive Unkenntnis des Rechtsmittelgegners sei nicht geeignet, die Erstattungsfähigkeit der Kosten für eine objektiv nicht erforderliche Handlung zu begründen.
Nachdem diese Entscheidung jedoch in der Rspr. auf erhebliche Kritik gestoßen war, hat der BGH zunächst in Familiensachen klargestellt, dass hier jedenfalls auf die subjektive Lage abzustellen sei, da sich das Verfahren in Familiensachen anders gestalte. Wenig später hat der BGH dann auch für Zivilsachen die Kehrtwendung vollzogen und "in Abgrenzung" zu seiner vorangegangenen Entscheidung klargestellt, dass auch hier auf die subjektive Sicht abzustellen sei.
Praxishinweis
Für den Anwalt der zurücknehmenden Partei bedeutet dies, dass er den Gegner möglichst unverzüglich über die Rücknahme unterrichten sollte. In diesem Moment erhält der Gegner Kenntnis von der Rücknahme. Dann ist es aber grds. nicht mehr notwendig, noch einen Anwalt mit der Vertretung zu beauftragen. Geschieht dies dennoch, sind die dann entstandenen Anwaltskosten jedenfalls nicht erstattungsfähig.
Kündigt der Kläger gegenüber dem Beklagten bereits vor Zustellung der Klage an, dass die Klage zurückgenommen wird, und beauftragt der Beklagte dennoch nach Klagezustellung einen anwaltlichen Prozessvertreter, so sind die entstandenen Anwaltskosten nicht erstattungsfähig, wenn die Klage der Ankündigung entsprechend umgehend zurückgenommen wird.
AG Dortmund, Beschl. v. 12.9.2014 – 426 C 1293/14
Versäumt der Anwalt die Unterrichtung, macht er sich ggfs. schadensersatzpflichtig.
II.
Weiterhin bestätigt der BGH, dass die bloße Anzeige der Verteidigungsbereitschaft noch nicht die volle 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV auslöst, sondern lediglich die ermäßigte 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV.
III.
Zutreffend ist auch die Berechnung der Gebührenerhöhung. Die Erhöhung selbst darf bis zu 2,0 betragen (bei Rahmengebühren bis zu 200%). Die Grenze ist also Ausgangsgebühr + 2,0 bzw. 300% der Ausgangsgebühr.
Rechtsanwalt Norbert Schneider
AGS, S. 433 - 436