RVG §§ 15a, 60; RVG VV Nr. 2300, Vorbem. 3 Abs. 4
Leitsatz
- Die Regelungen des neuen § 15a RVG sind bereits mit Inkrafttreten der Vorschrift anzuwenden. Sie gelten auch "in Altfällen", da es sich nicht um eine neue gesetzliche Regelung handelt, sondern lediglich um eine Klarstellung der bisherigen gesetzlichen Regelungen, so dass die gegenteilige Rspr. des BGH überholt ist.
- Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 11.8.2009–8 W 339/09
1 Sachverhalt
Der Beklagte hatte im Rechtsstreit Widerklage erhoben und die ihm vorgerichtlich für die Abwehr der Klageforderung entstandenen Anwaltskosten (eine Geschäftsgebühr nebst Auslagen und Umsatzsteuer) als Schadenersatz geltend gemacht.
Klage und Widerklage wurden abgewiesen. Im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren meldete der Beklagte eine volle 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) an. Das Gericht setzte die Verfahrensgebühr jedoch nicht in voller Höhe fest, sondern kürzte sie um die nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV zu berücksichtigende Anrechnung der Geschäftsgebühr. Dass eine Geschäftsgebühr vorgerichtlich angefallen war, ergab sich aus dem Vortrag der Widerklage. Der Rspr. des BGH folgend hat das Gericht daher die anzurechnende Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren berücksichtigt.
Hiergegen legte der Beklagte Beschwerde ein und berief sich darauf, dass der Gesetzgeber durch die Neuregelung des § 15a RVG klargestellt habe, dass die vom BGH getroffene Auslegung der Anrechnungsvorschriften nicht gewollt sei. Es müsse vielmehr von dem nunmehr in der neuen Vorschrift zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers ausgegangen werden, so dass eine Anrechnung hier nicht berücksichtigt werden dürfe.
Die sofortige Beschwerde hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen
Am 4.8.2009 wurde die Neuregelung des § 15a RVG (Art. 7 Nr. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften) verkündet. Sie ist gem. Art. 10 S. 2 dieses Gesetzes am Tag nach der Verkündung in Kraft getreten und lautet:
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§„ 15a Anrechnung einer Gebühr |
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(1) Sieht dieses Gesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vor, kann der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. |
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(2) Ein Dritter kann sich auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden“ (BT-Drucks 16/12717; BGBl I S. 2449).“ |
In § 15a RVG wird das Innenverhältnis zwischen Anwalt und Auftraggeber geregelt. Es wird klargestellt, dass aufeinander anzurechnende Gebühren zunächst unabhängig voneinander in voller Höhe ungekürzt entstehen. Der Anwalt kann grundsätzlich jede abzurechnende Gebühr in voller Höhe geltend machen. Allerdings bewirkt die Zahlung einer Gebühr, dass im Umfang der Anrechnung die andere Gebühr erlischt. Der Anwalt kann nicht beide Gebühren verlangen, sondern insgesamt nur den um die Anrechnung verminderten Gesamtbetrag.
Die Vorschrift des § 15a Abs. 2 RVG betrifft die Kostenerstattung. Ein erstattungsberechtigter Dritter kann sich auf die Anrechnung nur dann berufen, wenn er die anzurechnende Gebühr selbst bereits gezahlt hat oder wenn diese gegen ihn tituliert worden ist. Dann darf sie im Umfang der Anrechnung nicht nochmals im Kostenfestsetzungsverfahren tituliert werden (N. Schneider, NJW-Spezial 2009, 349).
In der Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 5.8.2009 heißt es, dass mit dem neuen § 15a RVG der Gesetzgeber die Probleme beseitige, die in der Praxis aufgrund von Entscheidungen des BGH zur Anrechnung der anwaltlichen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr aufgetreten seien. Das Vergütungsrecht habe danach die vorgerichtliche Streiterledigung durch Rechtsanwälte behindert. Dieses Ergebnis sei nicht sachgerecht gewesen und habe den Vorstellungen einer sinnvollen Rechtsanwaltsvergütung und Justiz widersprochen. Mit der Gesetzes“änderung“ sei dieses Problem gelöst und der Begriff der Anrechnung durch den Gesetzgeber "geklärt" worden (Erläuterungen der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries). Durch das neue Gesetz werde die Wirkung der Anrechnung sowohl im Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant als auch gegenüber Dritten, also insbesondere im gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren, ausdrücklich geregelt. Insbesondere sei klargestellt, dass sich die Anrechnung im Verhältnis zu Dritten grundsätzlich nicht auswirke. In der Kostenfestsetzung müsse eine Verfahrensgebühr auch dann in voller Höhe festgesetzt werden, wenn eine Geschäftsgebühr entstanden sei, die auf sie angerechnet werde. Sichergestellt werde jedoch, dass ein Dritter nicht über den Betrag hinaus auf Ersatz oder Erstattung in Anspruch genommen werden könne, den der Rechtsanwalt von seinem Mandanten verlangen könne.
Nachdem in § 15a ...