BerHG § 1 Abs. 1 Nr. 2
Leitsatz
Die Möglichkeit der Beratung und Betreuung durch das Jugendamt ist dem unbemittelten Bürger dann unzumutbar, stellt mithin keine andere Möglichkeit der Hilfe im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG dar, wenn die zu klärende rechtliche Angelegenheit lediglich einen Teil eines komplexen familiären Sachverhalts betrifft und der mit der Beratungshilfesache beauftragte Rechtsanwalt bereits in anderen Teilbereichen des Gesamtsachverhalts tätig war.
AG Helmstedt, Beschl. v. 5.7.2010–9 II 315/09
Sachverhalt
Die Rechtsuchende hatte einen Rechtsanwalt im Rahmen der Beratungshilfe beauftragt, für sie die Abänderung einer Jugendamtsurkunde durchzusetzen, was der Anwalt dann auch veranlasste. Anschließend reichte der Rechtsanwalt einen vor Mandatserteilung von der Rechtsuchenden unterzeichneten Antrag Bewilligung von Beratungshilfe zusammen mit einem Antrag auf Festsetzung der Vergütung gem. § 44 RVG beim zuständigen AG ein. Der Urkundsbeamte wies die Anträge zurück und führte zur Begründung aus, mit der Möglichkeit der Beratung und Betreuung durch das Jugendamt gem. § 18 SGB VIII habe eine andere Möglichkeit der Hilfe i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG zur Verfügung gestanden, die die Antragstellerin vorrangig hätte in Anspruch zu nehmen müssen.
Die hiergegen gerichtete Erinnerung hatte Erfolg.
Aus den Gründen
Zwar soll die Beratungshilfe nicht die von anderen, meist über besondere Sachkunde verfügenden Einrichtungen kostenfrei geleistete Beratung ersetzen, sondern diese lediglich ergänzen, mit der Folge, dass der unbemittelte Bürger grundsätzlich auf diese kostenfreie Möglichkeit der Hilfe zu verweisen wäre. Denn auch ein bemittelter Bürger würde sich – vor seinem eigenen Vermögenseinsatz – einer kostenlosen Rechtsberatung bedienen. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass Art. 3 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip keine vollständige Gleichstellung Unbemittelter mit Bemittelten verlangt, sondern nur eine weitgehende Angleichung. Der Unbemittelte braucht nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine rechtliche Situation vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Als Leistung der staatlichen Daseinsfürsorge kann die Bewilligung von Beratungshilfe daher allenfalls dann beansprucht werden, wenn ihr Einsatz sinnvoll ist (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12.6.2007–1 BvR 1014/07).
Die Möglichkeit der Beratung und Betreuung durch das Jugendamt ist dem unbemittelten Bürger jedoch dann unzumutbar, stellt mithin keine andere Möglichkeit der Hilfe i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG dar, wenn die zu klärende rechtliche Angelegenheit – wie hier – lediglich einen Teil eines komplexen familiären Sachverhalts betrifft und der mit der Beratungshilfesache beauftragte Rechtsanwalt bereits in anderen Teilbereichen des Gesamtsachverhalts tätig war. Es ist zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall bereits diverse familienrechtliche Verfahren, Vollstreckungsverfahren und Verfahren nach dem GewSchG anhängig waren. Das Gericht geht davon aus, dass die Antragstellerin und ihr getrennt lebender Ehemann mit der Trennungssituation überfordert sind und die Gesamtsituation als "verfahren" betrachtet werden muss. In einem solchen Fall erscheint die vorgeschaltete Inanspruchnahme des Jugendamtes als nicht zielführend. Vielmehr erscheint es sinnvoll, die Kenntnisse des in die Gesamtmaterie eingearbeiteten Rechtsanwalts zu nutzen, um die Gesamtproblematik einer Lösung zuführen zu können. Auch würde ein bemittelter Bürger in einem solchen Fall nicht die kostenlose Hilfe des Jugendamtes in Anspruch nehmen, wenn diese Hilfe nur den Teilbereich des Kindesunterhalts betrifft, hinsichtlich der weiteren Teilbereiche aber bereits ein Rechtsanwalt tätig geworden ist. Auch der bemittelte Bürger würde insoweit die rechtliche Beratung "aus einer Hand" wählen.
Anmerkung
In der Beratungshilfepraxis im Familienrecht spielen zwei Punkte immer wieder eine entscheidende Rolle: 1. der Begriff der Angelegenheit und 2. die Möglichkeit anderweitiger (kostenloser) Hilfe, z.B. durch die Jugendämter.
1. Mit dem OLG Düsseldorf und dem OLG Frankfurt/M. sind Trennungsfolgen ungeachtet der Regelungen zum späteren, gerichtlichen Scheidungsverbund einzelne Angelegenheiten im Sinne des Beratungshilferechts (§ 2 Abs. 2 u. § 6 BerHG). § 16 Nr. 4 RVG kann zur Begründung eines sog. Beratungshilfeverbundes in Familiensachen nicht herangezogen werden. Eine direkte Anwendung von § 16 Nr. 4 RVG scheidet aus, weil dort nur der Scheidungsverbund (seit dem 1.9.2009: § 137 FamFG) geregelt ist, d.h. das mit dem Scheidungsantrag eingeleitete gerichtliche Verfahren, nicht aber die außergerichtliche Beratung. Eine analoge Anwendung wird vom OLG Düsseldorf und vom OLG Frankfurt/M. wohl zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dass der Gesetzgeber das zum alten § 7 Abs. 3 BRAGO bereits lebhaft diskutierte Problem nicht übersehen haben könne, es also an der für eine Analogie erforderlichen sog. planwidrigen Regelungslücke fehle. Für die geläufigen Trennungsfolgen wie Trennungsunterhalt ode...