ZPO § 91
Leitsatz
Überlässt der Versicherungsnehmer als Prozesspartei seinem Haftpflichtversicherer, der selbst nicht als Partei am Rechtsstreit beteiligt ist, die Prozessführung und beauftragt dieser seinen "Hausanwalt", der weder am Sitz des Gerichts noch am Wohn- oder Geschäftsort des Versicherungsnehmers ansässig ist, sind die dadurch entstandenen höheren Reisekosten nicht erstattungsfähig.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 20.5.2011 – 8 W 180/11
1 Sachverhalt
Dem Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten über 1.738,90 EUR wurde in Höhe von 1.435,00 EUR entsprochen. Die Differenz resultiert aus den Kosten eines zur Terminswahrnehmung beauftragten Unterbevollmächtigten, ersatzweise aus den fiktiven Reisekosten ihres Prozessbevollmächtigten mit Kanzleisitz für die Wahrnehmung von zwei Terminen. Insoweit hat die Rechtspflegerin lediglich fiktive Reisekosten eines am Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts als erstattungsfähig angesehen.
Wegen der Differenz hat die Beklagte gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss sofortige Beschwerde eingelegt. Die Parteien streiten über die Erstattungsfähigkeit der Mehrkosten, die durch die Beauftragung der auswärtigen Kanzlei entstanden sind.
Die Rechtspflegerin hat nicht abgeholfen und die Akten dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
Die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Die von der Rechtspflegerin in Ansatz gebrachten fiktiven Reisekosten gem. Nr. 7003 VV zuzüglich Abwesenheitsgeld (Nr. 7005 VV) sind nicht zu beanstanden.
Der BGH hat wiederholt entschieden, dass die Reisekosten eines an einem dritten Ort, der weder der Gerichtsort noch der Wohn- oder Geschäftssitz der Partei ist, ansässigen Prozessbevollmächtigten bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts erstattungsfähig sind, wenn dessen Beauftragung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich gewesen wäre (BGH NJW-RR 2004, 855; BGH AGS 2004, 260). Nach der Entscheidung des BGH v. 16.10.2002 (NJW 2003, 898; vgl. auch BGH NJW-RR 2004, 430 zum sog. "Outsourcing" sowie BGH VersR 2006, 1089 und BGH NJW 2006, 3008) ist die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftssitz der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig i.S.v. § 91 Abs. 2 S. 1, 2. Hs. ZPO anzusehen.
Dagegen ist die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines "Hausanwalts" am dritten Ort der BGH-Rspr. nicht zu entnehmen. Vielmehr hat der BGH in seinem Beschl. v. 11.3.2004 – VII ZB 27/03 (MDR 2004, 838) festgestellt, dass die Reisekosten eines weder am Gerichtsort noch am Geschäfts- oder Wohnsitz der Prozesspartei ansässigen Verfahrensbevollmächtigten zur Terminswahrnehmung nur insoweit zu erstatten sind, als sie sich im Rahmen der Reisekosten halten, die angefallen wären, wenn die Partei einen Prozessbevollmächtigten nicht am dritten Ort, sondern entweder am Gerichtsort oder an ihrem Geschäfts-/Wohnsitz beauftragt hätte.
Auch in seinen neueren Entscheidungen (Beschl. v. 23.1.2007 – I ZB 42/06, NJW-RR 2007, 1561; Beschl. v. 2.10.2008 – I ZB 96/07, NJW-RR 2009, 556) hält der BGH an seiner restriktiven Rspr. fest und betont nochmals, dass regelmäßig Reisekosten eines "Rechtsanwalts am dritten Ort" nur bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftssitz der Partei ansässigen Prozessbevollmächtigten zu erstatten sind.
Gründe, die es ausnahmsweise gerechtfertigt erscheinen lassen, dass die Beschwerdeführerin die erheblich höheren Kosten eines "Rechtsanwalts am dritten Ort" erstattet verlangen kann, liegen nicht vor und können auch der Beschwerdebegründung v. 28.3.2011 nicht entnommen werden.
Zwar hat der BGH festgestellt, dass dann, wenn ein bundesweit tätiger Versicherer nach endgültiger Leistungsablehnung seine Akten einem Rechtsanwalt überlässt, der aufgrund ständiger Geschäftsbeziehungen derartige Verfahren weiter bearbeitet ("Hausanwalt"), der unterliegende Prozessgegner diese Betriebsorganisation hinzunehmen und etwaige (fiktive) Reisekosten des bevollmächtigten Hausanwalts als notwendige Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat (sog. "Outsourcing": BGH NJW-RR 2004, 430; BGH RuS 2005, 91; BGH NJW 2006, 3008; fortführend: BGH MDR 2007, 802 und 1222; je m.w.N.). Dieser Ausnahme, auf die sich die Beklagte unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH v. 28.8.2006 – IV ZB 44/05, NJW 2006, 3008, beruft, liegt aber insofern ein anderer Sachverhalt zugrunde, als der Krankenversicherer – nicht ein federführender Haftpflichtversicherer – dort selbst als Prozesspartei auftrat (vgl. hierzu auch Beschl. d. Senats v. 19.5.2009 – 8 W 212/09), während vorliegend der Haftpflichtversicherer der Beklagten am Rechtsstreit gerade nicht beteiligt war.
In diesem Fall ist es nicht gerechtfertigt, auf die Verhältnisse des Versicherers statt auf die seines Versicherungsnehmers abzustellen (OLG Stuttgart/Senat, Beschl. v. 18.4.2011 – 8 W 137/11; OLG Oldenburg NJW-RR 2008, 1305, m.w.N.; Herget, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 91 Z...