RVG §§ 13, 14 Abs. 1, 15 RVG VV Nr. 6200, Anm. Abs. 1 zu Nr. 6202, Anm. Abs. 2 zu Nr. 6202
Leitsatz
Ist der Bevollmächtigte, der den Kläger im behördlichen Disziplinarverfahren vertritt, auch in dem dem gerichtlichen Verfahren vorausgehenden und der Überprüfung der Verwaltungsentscheidung dienenden Widerspruchsverfahren tätig, erhält er neben der allgemeinen Verfahrensgebühr nach Anm. Abs. 2 zu Nr. 6202 VV auch die gesonderte Verfahrensgebühr nach Anm. Abs. 1 zu Nr. 6202 VV; die Grundgebühr Nr. 6200 VV bleibt hiervon unberührt.
VG Wiesbaden, Beschl. v. 29.3.2011 – 28 O 1281/10.WI
1 Sachverhalt
In dem Disziplinarverfahren, in dem die Recht- und Zweckmäßigkeit eines Verweises des Polizeipräsidenten gegenüber dem Kläger zu beurteilen war, erging nach mündlicher Verhandlung mit Beweisaufnahme durch Vernehmung von zwei Zeugen ein dem Klägerbegehren stattgebendes Urteil.
Daraufhin beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers (= Erinnerungsführer) für das außergerichtliche Verfahren eine Verfahrensgebühr nach Anm. Abs. 1 zu Nr. 6202 VV und eine Verfahrensgebühr nach Anm. Abs. 2 zu Nr. 6202 VV. Des Weiteren beantragte er eine gegenüber der Mittelgebühr erhöhte Kostenfestsetzung. Das Verfahren sei insgesamt umfangreich und wegen mehrerer Zeugenaussagen inhaltlich kompliziert gewesen; die behördlichen Gedankenvorgänge seien schwerlich nachzuvollziehen gewesen. Hinsichtlich des Doppelansatzes der Verfahrensgebühr werde darauf verwiesen, dass Anm. Abs. 1 zu Nr. 6202 VV das Wort gesondert enthalte und auf § 17 Nr. 1 RVG verweisen werde. Die Übertragung auf die Einzelrichterin sei nicht bindend für die kostenrechtliche Beurteilung.
Der Erinnerungsgegner äußerte sich dahingehend, dass die Verfahrensgebühr nur einmal geltend gemacht werden könne. Der Behauptung, das Verfahren sei besonders umfangreich und inhaltlich kompliziert gewesen, werde entgegengetreten. Dies werde auch durch die Einzelrichterübertragung indiziert.
In dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss reduzierte die Kostenbeamtin die beantragten Gebühren jeweils auf die Höhe der jeweiligen Mittelgebühr mit der Begründung, dass das Verfahren durchschnittlich umfangreich und durchschnittlich schwierig gewesen sei; auch die Vernehmung von zwei Zeugen habe im Rahmen des Durchschnittlichen gelegen. Die beantragte Gebühr nach Anm. Abs. 2 zu Nr. 6202 VV wurde abgesetzt, da diese Gebühr im Vorverfahren nur einmal entstehen könne.
Gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss hat der Kläger Erinnerung eingelegt mit dem Ziel der Festsetzung der beantragten Gebühren. Zur Begründung trägt er vor, sowohl die tatsächliche als auch rechtliche Auswertung der behördlichen und der strafrechtlichen Ermittlungsakte sei wegen der darin enthaltenen Zeugenaussagen arbeitsintensiv gewesen. Aus Sicht des Bevollmächtigten sei es auf Detailfragen angekommen, auch wenn nicht jede dieser Fragen zum Tragen gekommen sei. Die Arbeitsintensität habe sich durch das gesamte Verfahren gezogen und selbstverständlich auch für die Vorbereitung des Termins und den Termin selbst gegolten.
Der Erinnerungsgegner hat sich nicht weiter geäußert.
Die Erinnerung, der die Kostenbeamtin nicht abgeholfen hat, hatte teilweise Erfolg.
2 Aus den Gründen
Dem Erinnerungsführer steht entgegen der Auffassung der Kostenbeamtin eine Verfahrensgebühr sowohl nach Anm. Abs. 1 zu Nr. 6202 VV als auch nach Anm. Abs. 2 zu Nr. 6202 VV zu.
Das außergerichtliche Disziplinarverfahren, das in Teil 6, Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 VV geregelt wird, beginnt mit dem Zeitpunkt der Einleitung einer disziplinarrechtlichen Untersuchung und dauert bis zum Beginn des gerichtlichen Verfahrens.
Der bevollmächtigte Rechtsanwalt erhält für seine Tätigkeit im Disziplinarverfahren bis zum Eingang des Antrags oder der Anschuldigungsschrift bei Gericht eine allgemeine Verfahrensgebühr nach Anm. Abs. 2 zu Nr. 6202 VV. Der Bevollmächtigte wurde im behördlichen Disziplinarverfahren, das am 13.5.2008 eingeleitet wurde, ab dem 9.9.2008 für den Erinnerungsführer tätig, so dass ihm diese allgemeine Verfahrensgebühr zusteht.
Darüber hinaus hat der Bevollmächtigte den Erinnerungsführer in dem sich an die Erteilung des Verweises anschließenden Widerspruchsverfahren vertreten. Hierbei handelt es sich um ein dem gerichtlichen Disziplinarverfahren vorausgehendes und der Überprüfung der Verwaltungsentscheidung dienendes, weiteres außergerichtliches Verfahren, für die der Bevollmächtigte die gesonderte Verfahrensgebühr nach Anm. Abs. 1 zu Nr. 6202 VV erhält. Diese Verfahrensgebühr nach Anm. Abs. 1 entsteht gesondert, d. h., neben und zusätzlich zu der Verfahrensgebühr nach Anm. Abs. 2 (Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., Rn 1 zu 6202 VV; Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., Rn 3, 7 zu Nr. 6202 VV; Gebauer/Schneider, RVG, 2. Aufl., Rn 7–9 zu Nr. 6202 VV).
Unberührt hiervon bleibt die Grundgebühr nach Nr. 6200 VV (Gebauer/Schneider, RVG, 2. Aufl., Rn 8 zu Nr. 6202 VV; Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., Rn 7 zu Nr. 6202 VV).
Dem Erinnerungsführer stehen jedoch nur erstattungsfähige Aufwendungen in Höhe der...