§§ 249, 254 BGB; Nr. 2300 VV RVG
Leitsatz
- Auch in einfach gelagerten Fällen ist grundsätzlich die Hinzuziehung eines rechtlichen Beistands zu Schadenregulierung erstattungsfähig.
- Die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten bei Einschaltung eines Rechtsdienstleisters sind grundsätzlich im selben Umfang zu erstatten wie die Kosten eines Anwalts.
LG Frankfurt, Urt. v. 9.3.2021 – 2-15 S 83/20
I. Sachverhalt
Der Kläger hatte nach einem Verkehrsunfall ein Inkasso-Unternehmen mit der Regulierung seines Schadens beauftragt. Der Versicherer des Unfallverursachers hat daraufhin den Schaden in vollem Umfang reguliert. Er hat sich jedoch geweigert, die von der Inkasso GmbH in Rechnung gestellten Regulierungskosten in Höhe einer 1,3-Geschäftsgebhr nebst Auslagen und Umsatzsteuer zu übernehmen. Das AG hat die Klage abgewiesen. Das LG hat den Versicherer antragsgemäß zur Zahlung verurteilt.
II. Kosten eines Inkassounternehmens sind erstattungsfähig
Auch die im Rahmen der Beauftragung eines Inkassounternehmens entstandenen vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten können – unter denselben Voraussetzungen wie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten – ersatzfähig sein, sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen (vgl. MüKo-BGB/Oetker, 8. Aufl., 2019, § 249, Rn 184, m.w.N.).
III. Erforderlichkeit
1. Grundsatz
Nach dem insoweit anzuwendenden und auch vom Amtsgericht – jedoch mit einem anderen Ergebnis – angewendeten Maßstab, den der BGH zuletzt mit Urt. v. 29.10.2019 (NJW 2020, 144) weiter konkretisiert hat, kommt es darauf an, ob die durch das Schadensereignis entstandenen Rechtsverfolgungskosten aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH NJW 2020, 144, Rn 21 = AGS 2020, 148 = RVGreport 2020, 64 [Hansens]). Nach dem Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung ist dabei auf die spezielle Situation des Geschädigten Rücksicht zu nehmen. An die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Maßgeblich ist, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt. Wenn die Verantwortlichkeit für den Schaden und damit die Haftung von vornherein dem Grunde und der Höhe nach klar ist und aus Sicht des Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger bzw. seine Versicherung der Ersatzpflicht nachkommen werden, dann ist es für die erstmalige Geltendmachung des Schadens nicht erforderlich, einen Rechtsanwalt (oder einen Rechtsdienstleister) hinzuzuziehen (BGH NJW 2020, 144 Rn 21 = AGS 2020, 148 = RVGreport 2020, 64 [Hansens]).
Bei einem Verkehrsunfall unter Beteiligung von zwei Fahrzeugen ist anzunehmen, dass jedenfalls im Hinblick auf die Schadenshöhe regelmäßig kein einfach gelagerter Fall anzunehmen ist (BGH NJW 2020, 144, Rn 24, m.w.N. = AGS 2020, 148 = RVGreport 2020, 64 [Hansens]). Denn bei einem Fahrzeugschaden wird die rechtliche Beurteilung nahezu jeder Schadensposition in Rspr. und Lehre seit Jahre intensiv und kontrovers diskutiert und es besteht eine umfangreiche, vielschichtige und teilweise uneinheitliche Rspr. Bei Unklarheiten im Hinblick jedenfalls auf die Höhe der Ersatzpflicht, wie sie typischerweise bei Fahrzeugschäden nach einem Verkehrsunfall bestehen, darf aber auch und gerade der mit der Schadensabwicklung von Verkehrsunfällen vertraute Geschädigte vernünftige Zweifel daran haben, dass der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer ohne Weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen wird. Dass der erfahrene Geschädigte durchaus in der Lage sein wird, den Unfallhergang zu schildern und ggfs. unter Beifügung eines Sachverständigengutachtens – die aus seiner Sicht – zu ersetzenden den Schadenspositionen zu beziffern, macht den Fall selbst bei Eindeutigkeit der Haftung grds. nicht zu einem einfach gelagerten und schließt deshalb die Erforderlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht aus (BGH NJW 2020, 144, Rn 24 = AGS 2020, 148 = RVGreport 2020, 64 [Hansens]).
2. Erforderlichkeit im konkreten Fall
Umstände, die dieser Regelannahme der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der vorgerichtlichen Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bzw. eines Rechtsdienstleisters entgegenstehen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Insbesondere spricht gegen diese Annahme nicht der Umstand, dass die Beklagte nach einer verhältnismäßig kurzen Zeit von 17 Tagen den in Rechnung gestellten Betrag bestehend aus Reparaturkosten, Nutzungsausfall, Unfallpauschale und Gutachterkosten vollständig beglich. Denn bereits die Zahlungsaufforderung stammte von der Inkasso GmbH und es ist keineswegs ersichtlich, dass die Schadensbegleichung auch bei Geltendmachung durch den Kläger selbst so schnell und umfassend erfolgt wäre. Insoweit bleibt es daher bei den vom BGH aufgestellten Grundsätzen, nach denen jedenfalls hinsichtlich der Schadenshöhe und aus der maßgeblichen ex ante-Sicht – die hier durch eine vollumfängliche und zeitnahe Zahlung ex post widerlegt worden sein mag – die Beauftragung des Rechtsdienstleisters als erforder...