1. Lösung zu Fall 1
I. Grundlage der Kostenfestsetzung
Gem. § 103 Abs. 1 ZPO kann der Anspruch auf Erstattung von Prozesskosten nur aufgrund eines zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titels geltend gemacht werden. Der gerichtlich bestätigte Vergleich ist gem. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ein solcher Vollstreckungstitel.
II. Inhalt des Vollstreckungstitels
Nach der Kostenregelung in dem Vergleich hat der Beklagte "9/10 der Verfahrensgebühr" übernommen, ohne dass ausdrücklich erwähnt wird, ob es dabei um die gerichtliche Verfahrensgebühr oder (auch) um die den beiden Prozessbevollmächtigten der Parteien entstandene Verfahrensgebühr handelt. Die Kostenregelung in dem Vergleich bedarf somit einer Auslegung. Für die Auslegung der Vergleichsregelung ist entscheidend auf den Wortlaut des Vergleichs abzustellen, der die Verfahrensgebühr in der Einzahl nennt. Bei der Auslegung kann deshalb nicht auf Urkunden oder Umstände abgestellt werden, die nicht Bestandteil des Titels sind. Folglich ist eine vom Wortlaut des Vergleichs abweichende Auslegung nicht zulässig.
Die Nennung der Verfahrensgebühr in der Einzahl spricht dafür, dass von der Kostenregelung die nur einmal entstandene gerichtliche Verfahrensgebühr erfasst wird und nicht auch die in der Mehrzahl entstandenen anwaltlichen Verfahrensgebühren der Prozessbevollmächtigten der Parteien.
Dies führt im Ergebnis dazu, dass der Kläger lediglich einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten i.H.v. 9/10 der gerichtlichen Verfahrensgebühr hat. Die seinem Prozessbevollmächtigen angefallene Verfahrensgebühre nach Nr. 3100 VV wird hingegen von der weiteren Regelung im Vergleich erfasst, nach der die übrigen Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben werden. Somit hat jede Partei ihre eigenen außergerichtlichen Kosten und folglich auch die Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV selbst zu tragen, sodass eine anteilige Festsetzung der anwaltlichen Verfahrensgebühr gegen den Beklagten nicht in Betracht kommt, weil es insoweit an einem Vollstreckungstitel fehlt.
III. Umfang des Erstattungsanspruchs
Der Kläger hat die mit Eingang seiner Klageschrift bei Gericht die gem. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GKG fällig gewordene und gleichzeitig angefallene 3,0-Verfahrensgebühr Nr. 1210 GKG KV an die Justizkasse gezahlt. Aufgrund der Kostenregelung im Vergleich kann er hiervon jedoch nicht 9/10 vom Beklagten erstattet verlangen. Die gerichtliche Verfahrensgebühr hat sich nämlich nach Nr. 1211 Nr. 3 GKG KV infolge des Abschlusses des gerichtlichen Vergleichs auf den Gebührensatz von 1,0 ermäßigt. Deshalb hat der Kostenbeamte des Prozessgerichts die Rückzahlung einer 2,0-Verfahrensgebühr an den Kläger zu veranlassen., sodass der Kläger im Ergebnis nur mit einer 1,0-Verfahrensgebühr belastet ist. Von dieser 1,0-Verfahrensgebühr kann der Kläger 9/10 von dem Beklagten erstattet verlangen.
2. Lösung zu Fall 2
Rechtsanwalt X ist mit Einreichen der Klageschrift bei Gericht (s. Nr. 3101 Nr. 1 VV) die Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV mit einem Gebührensatz von 1,3 angefallen. Da der Anwalt mit den Eheleuten E zwei Auftraggeber vertreten hat, hat sich diese Verfahrensgebühr nach Nr. 1008 VV um den Gebührensatz von 0,3 erhöht. Nachdem der Rechtsstreit von dem Erben S der Eheleute wieder aufgenommen wurde, ist Rechtsanwalt X nunmehr für S tätig geworden. Die spätere Tätigkeit für den S in dem Rechtsstreit stellt zusammen mit der vorangegangenen Tätigkeit für dessen Eltern eine einzige gebührenrechtliche Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 1 RVG dar, sodass Rechtsanwalt X gleichartige Gebühren nur einmal berechnen kann.
Infolge der Vertretung des S als Alleinerben der Eheleute E hat Rechtsanwalt X nunmehr einen weiteren Auftraggeber. Insgesamt ist der Anwalt somit in dieser Angelegenheit nacheinander für drei Auftraggeber tätig geworden. Folglich erhöht sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV nach Nr. 1008 VV um den Satz von 0,6. Der Kläger kann somit im Kostenfestsetzungsverfahren eine (1,3 + 0,6 =) 1,9-Verfahrensgebühr gegen den Beklagten geltend machen.
Autor: VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin
AGS 8/2021, S. 351 - 352