§ 31 GKG; § 26 FamGKG
Leitsatz
Schließt eine bedürftige Partei einen gerichtlichen Vergleich auch über die Kosten, bei dem sie irrtümlich davon ausgeht, der Gegner könne sie nicht auf Erstattung von Gerichtskosten in Anspruch nehmen, so berechtigt dieser Irrtum nicht zur Anfechtung des Vergleichs nach § 119 BGB.
AG Euskirchen, Urt. v. 27.10.2020 – 27 C 258/19
I. Sachverhalt
Die Klägerin hatte nach Beendigung des Mietverhältnisses vom Beklagten die Auszahlung der Mietkaution und die Zahlung weiterer Beträge verlangt. Hierfür war ihr Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt worden. Der Beklagte verteidigte sich gegen den Klageanspruch mit Schadensersatzansprüchen, zu deren Feststellung er zuvor ein selbstständiges Beweisverfahrens durchgeführt hatte. Im Rechtsstreit haben die Parteien sodann einen Vergleich geschlossen, ohne die Voraussetzung des § 31 Abs. 4 GKG zu beachten.
Nach dem Vergleich hatte sich der Beklagte verpflichtet, an die Klägerin 1.445,00 EUR zu zahlen. Die Kosten des Verfahrens wurden gegeneinander aufgehoben.
Aufgrund dieser Kostenregelung beantragte der Beklagte den Ausgleich der Gerichtskosten. Es ergab sich damit ein Kostenerstattungsanspruch des Beklagten hinsichtlich der Hälfte der von ihm im Beweisverfahren vorgelegten Sachverständigenkosten i.H.v. ca. 1.000,00 EUR. Mit diesem Erstattungsanspruch erklärte der Beklagte die Aufrechnung gegen die Vergleichsforderung.
Nunmehr erklärte die Klägerin die Anfechtung des Vergleichs nach § 119 BGB. Sie gab an, im Irrtum gewesen zu sein, dass sie aufgrund des Vergleichs auf Gerichtskosten hafte. Dies sei ihr nicht bekannt gewesen. Der Vergleich sei daher infolge ihrer Anfechtung nach § 142 Abs. 1 BGB nichtig, sodass das Verfahren fortzusetzen sei. Insoweit verfolge sie ihre ursprünglichen Klageanträge weiter. Das AG hat die Klage als unzulässig abgewiesen.
II. Frage der Anfechtung wird im selben Prozess entschieden
Wird ein Vergleich angefochten, so ist über die Frage der Wirksamkeit der Anfechtung im selben Prozess zu entscheiden. Soweit die Anfechtung begründet ist, ist der Rechtsstreit fortzusetzen. Anderenfalls ist durch Urteil auszusprechen, dass der Vergleich Bestand hat. Soweit das Gericht die Klage als unzulässig abgewiesen hat, dürfte dies allerdings unzutreffend gewesen sein.
III. Kein Recht zur Anfechtung
Die Klägerin kann sich hier nicht erfolgreich auf eine Anfechtung berufen. Dass sie zur Kostenerstattung verpflichtet ist, entspricht der Rechtslage. Die Bewilligung von PKH schützt nämlich nicht vor der Kostenerstattung (§ 123 ZPO).
Soweit der Gegner der bedürftigen Partei Gerichtskosten vorgelegt hat und ihm ein Erstattungsanspruch zusteht, kann er diese Gerichtskosten daher auch von der bedürftigen Partei erstattet verlangen.
Der Erstattungsanspruch ist nur insoweit ausgeschlossen, als der Gegner den auf die bedürftige Partei entfallenden Anteil nach § 31 Abs. 3 S. 1, 2. Hs. GKG aus der Landeskasse zurückerstattet erhält. Dies war hier jedoch nicht der Fall, da die Klägerin aufgrund des Vergleichs Übernahmeschuldnerin und nicht Entscheidungsschuldnerin nach § 29 Nr. 1 GKG war. Auch die Voraussetzungen des § 31 Abs. 4 GKG, die zu einer Rückerstattung der anteiligen Gerichtskosten durch die Landeskasse an den Beklagten geführt hätten, sind nicht beachtet worden.
Insoweit muss sich die Klägerin das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten entgegenhalten lassen, der dies offenbar nicht erkannt hat. Der Irrtum über diese Rechtslage berechtigte nicht zur Anfechtung des Vergleichs, sodass die Klage abzuweisen war.
IV. Bedeutung für die Praxis
Die Regelung des § 31 GKG
Vielen Anwälten sind nach wie vor die Regelungen des § 31 Abs. 3 u. 4 GKG nicht bekannt (in Familiensachen die des wortgleichen § 26 Abs. 3 und 4 FamGKG).
Soweit eine bedürftige Partei Entscheidungsschuldner ist, ist sie von den Gerichtskosten (dazu gehören auch Sachverständigenkosten) freigestellt (§ 31 Abs. 3 S. 1, 1. Hs. GKG).
Soweit der Gegner solche Kosten, die auf die bedürftige Partei entfallen, bereits vorausgezahlt hat, sind ihm diese Kosten aus der Landekasse zurückzugewähren (§ 31 Abs. 3 S. 1, 2. Hs. GKG), sodass ihm dann auch kein Erstattungsanspruch gegen die bedürftige Partei zusteht.
Im Falle eines Vergleichs tritt diese Rechtsfolge nur ein, wenn die Voraussetzungen des § 31 Abs. 4 GKG beachtet werden:
1. |
Der Vergleich muss vor Gericht geschlossen worden sein. |
2. |
Er muss auf Vorschlag des Gerichts geschlossen worden sein. |
3. |
Das Gericht muss festgestellt haben, dass die Kostenregelung im Vergleich der voraussichtlichen Kostenentscheidung entspricht. |
Wird dies – wie hier – versäumt, dann ist die bedürftige Partei nicht vor dem Kostenerstattungsanspruch des Gegners geschützt.
Beispiel
Die Beklagte wird auf Zahlung eines Betrags i.H.v. 10.000,00 EUR in Anspruch genommen. Ihr wird ratenfreie PKH unter Beiordnung ihres Anwalts bewilligt. Anschließend wird ein Vergleich geschlossen, in dem die Parteien vereinbaren, die Kosten gegeneinander aufzuheben.
Der Kläger erhält 2,0 (532,00 EUR) der von ihm eingezahlten 3,0-Gerichtsgebühr (798,00 EUR) zurück. Eine 1,0-Gebühr i.H.v. 266,00 EUR verbleibt bei ihm. Diese kann er hälftig, also...