Nr. 2300 VV RVG; § 249 BGB
Leitsatz
Nimmt der Geschädigte nach einem Verkehrsunfall zunächst seinen Kaskoversicherer in Anspruch und beauftragt er erst hiernach seinen Anwalt mit der Regulierung des restlichen Schadens gegenüber dem Haftpflichtversicherer, richtet sich der Gegenstandswert der vom Kfz-Haftpflichtversicherer zu ersetzenden Gebühren nur nach dem restlichen Betrag, den der Haftpflichtversicherer noch zahlen muss.
AG Dresden, Urt. v. 1.7.2021 – 103 C 961/21
I. Sachverhalt
Der Kläger war in einen mitverschuldeten Verkehrsunfall verwickelt und hatte zunächst den Sachschaden mit seinem Kaskoversicherer reguliert. Anschließend hat er seinen Anwalt beauftragt, den restlichen Schaden auf der Basis einer 50 %igen Haftung gegenüber dem Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers geltend zu machen. Der Anwalt forderte daraufhin den Haftpflichtversicherer wegen des Restbetrages i.H.v. 1.040,00 EUR zur Zahlung auf. Gleichzeitig verlangte der Anwalt für den Kläger Ersatz der angefallenen Anwaltskosten in Höhe einer 1,3-Geschäftsgebühr nebst Auslagen, insgesamt 492,54 EUR. Die Geschäftsgebühr berechnete er dabei aus dem hälftigen Gesamtschaden i.H.v. 4.275,03 EUR, also nach dem Betrag, wie sich der Schaden berechnet hätte, wenn der Kaskoversicherer nicht in Anspruch genommen worden wäre. Der Versicherer zahlte nur eine 1,3-Geschäftsgebühr aus dem Wert von 1.040,00 EUR, insgesamt 201,71 EUR. Der Kläger hat daraufhin den Restbetrag i.H.v. 290,83 EUR eingeklagt. Das AG hat die Klage abgewiesen.
II. Nur Zahlbetrag ist maßgebend
Der Kläger kann seine Rechtsanwaltskosten nur aus einem Erledigungswert i.H.v. 1.040,00 EUR, insgesamt 201,71 EUR, ersetzt verlangen. Dieser klägerische Anspruch ist bereits durch Zahlung der Beklagten erfüllt. Das Gericht vermag sich der Auffassung der Klägerseite nicht anzuschließen, dass im vorliegenden Fall vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltsgebühren aus einem Gegenstandswert i.H.v. 4.275,03 EUR zu erstatten seien. In seinem Urteil (NJW 2018, 2417) führt der BGH aus:
Zitat
"Ebenso ist von dem niedrigeren Gegenstandswert auszugehen, wenn der Geschädigte die auf den Verweis auf das bessere Restwertangebot gestützte Kürzung der Hauptforderung hinnimmt."
Das bedeutet bezogen auf den vorliegenden Fall, wenn der Geschädigte seine Fahrzeugvollversicherung in Anspruch nimmt und gegenüber dem eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherer, hier also der Beklagten, seine quotenbevorrechtigten Ansprüche und Ansprüche unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 %, wie im vorliegenden Fall i.H.v. 1.040,00 EUR verlangt, damit also eine "Kürzung" seiner Gesamtschadensersatzansprüche gegenüber dem gegnerischen Versicherer geltend macht, nimmt er – wie in der zitierten Entscheidung des BGH – eine Kürzung in Kauf und kann deswegen seine Rechtsanwaltsgebühren auch lediglich bezogen auf diesen Gegenstandswert ersetzt verlangen. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten können also nur aufgrund des tatsächlich bestehenden Schadensersatzanspruches ersetzt verlangt werden.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Auf die Reihenfolge kommt es an
Die Entscheidung ist im Ergebnis zutreffend, nicht jedoch in ihrer Begründung. In den Fällen, in denen auch der Kaskoversicherer in Anspruch genommen wird, ist zu differenzieren:
• |
Wird – wie hier – zunächst der Kaskoversicherer in Anspruch genommen und erst hiernach dem Anwalt der Auftrag erteilt, den der Restbetrag mit dem Haftpflichtversicherer abzurechnen, dann ist nur nach dem Betrag abzurechnen, den der Haftpflichtversicherer noch zahlen muss. Der Erledigungswert kann logischerweise nicht höher liegen als der Auftragswert. |
• |
Verhält es sich dagegen so, dass der Anwalt zunächst den Auftrag erhält, den Schaden beim gegnerischen Haftpflichtversicherer geltend zu machen und wird erst danach Kaskoversicherer eingeschaltet, dann bleibt es hinsichtlich des Erledigungswertes beim vollen Schadensbetrag. Eine nachträgliche Inanspruchnahme des Kaskoversicherers reduziert nicht den Erledigungswert (LG Arnsberg AGS 2016, 290 = NZV 2016, 478 = NJW-RR 2016, 1504). Erledigungswert ist nämlich die Summe aller berechtigten Ansprüche. Die Höhe der berechtigten Ansprüche ändert sich aber nicht dadurch, dass Schadensersatzansprüche durch Teilleistungen des Kaskoversicherers kompensiert werden. |
Insoweit ist der Hinweis des AG Dresden auf die Rspr. des BGH auch nicht zutreffend. In der zitierten Entscheidung und den zu diesem Problem ergangenen weiteren Entscheidungen des BGH (NJW 2017, 3588; NJW 2018, 935; NJW 2018, 937; NJW 2018, 938) ging es stets um Fälle, in denen sich im Nachhinein herausgestellt hat, dass der Schaden von Anfang an geringer war als angenommen. Dies ist aber bei der Inanspruchnahme des Kaskoversicherers nicht der Fall. Die Inanspruchnahme des Kaskoversicherers ändert nichts an der Höhe des Schadens und der Höhe der berechtigten Ansprüche. Es verhält sich lediglich so, dass die Ansprüche, soweit der Kaskoversicherer zahlt, auf diesen übergehen (§ 86 Abs. 1 VVG).
2. Kein Anspruch auf Ersatz der Kaskoregulierungskosten
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingew...