Rechtsfachwirtin Silke Umland, Gebührenrecht: Anrechnung der Geschäftsgebühr, RENOpraxis 2022, 161
Unter welchen Voraussetzungen die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist, bestimmt Vorbem. 3 Abs. 4 VV. Umland weist in ihrem Beitrag zunächst darauf hin, dass der Rechtsanwalt diese Anrechnungsvorschrift für seine gesamte Tätigkeit zu beachten hat, es sei denn, zwischen der Erledigung des ersten Auftrages und dem neuen Auftrag für die Tätigkeit hinsichtlich desselben Gegenstandes würden mehr als zwei Jahre liegen. In einem solchen Fall unterbleibe gem. § 15 Abs. 5 RVG die Anrechnung. Nach den weiteren Ausführungen der Autorin kommt eine Anrechnung nur in Betracht, wenn derselbe Anwalt oder dieselbe Kanzlei den Mandanten sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich vertreten hat.
Sodann weist die Autorin darauf hin, dass die Anrechnungsregelung grds. nur im Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten gilt. Ein Dritter könne sich auf die Anrechnung nur unter den in § 15a Abs. 3 RVG aufgeführten Voraussetzungen berufen, was anhand eines Beispiels verdeutlicht wird.
Im Anschluss hieran befasst sich Umland in ihrem Beitrag damit, dass eine Anrechnung nur dann in Betracht kommt, wenn der Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit einerseits und der gerichtlichen Tätigkeit andererseits identisch sind, wobei sie allerdings teilweise voneinander abweichen könnten. Dies verdeutlicht die Autorin anhand eines Beispiels. Wie die Gebührenanrechnung rechnerisch vollzogen wird, wird in dem Beitrag anhand weiterer Beispiele erklärt. Diese betreffen einmal den Fall, dass die Geschäftsgebühr mit dem höchsten Satz berechnet wird, und den zweiten Fall, bei dem sich die Geschäftsgebühr für die Vertretung mehrerer Auftraggeber nach Nr. 1008 VV erhöht hat. In beiden Fällen beträgt der höchste Anrechnungssatz bei Wertgebühren 0,75.
In einem weiteren Teil ihres Beitrags erörtert Umland die Durchführung der Gebührenanrechnung bei unterschiedlichen Gegenstandswerten. So stellt die Autorin die Berechnung in dem Fall dar, in dem sich der Gegenstandswert für die gerichtliche Tätigkeit gegenüber demjenigen für die außergerichtliche Tätigkeit vermindert. Auch die umgekehrte Fallgestaltung wird anhand eines Beispiels verdeutlicht. Ferner erörtert Umland auch den Fall, dass sich der Gegenstand der außergerichtlichen Tätigkeit auf zwei verschiedene gerichtliche Verfahren aufteilt.
Sodann weist die Autorin in ihrem Beitrag darauf hin, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr zwar grds. zur Hälfte vorzunehmen sei, jedoch höchstens i.H.d. Verfahrensgebühr erfolgen könne. Dies verdeutlicht die Autorin anhand eines Beispiels, in dem für die außergerichtliche Vertretung eine 1,3-Geschäftsgebühr angefallen ist und für die nachfolgende gerichtliche Tätigkeit nur eine 0,5-Verfahrensgebühr. Hier erfolge die Anrechnung nur höchstens in Höhe einer 0,5-Gebühr.
In einem weiteren Teil ihres Beitrags befasst sich Umland mit den Besonderheiten der Anrechnung der Geschäftsgebühr in verwaltungsrechtlichen und in sozialrechtlichen Verfahren sowie in Verfahren nach der WBO. Der Beitrag beschließt mit Hinweisen zur Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Vergütung des PKH-Anwalts, bei der die neu formulierte Regelung in § 58 Abs. 2 RVG beachtet werden müsse.
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Fiktive Terminsgebühr nur bei vollständiger Erledigung?, NJW-Spezial 2022, 219
Nach Vorbem. 3 Abs. 3 VV entsteht dem Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigten in Zivil-, Arbeitsgerichts-, Verwaltungsgerichts- und Sozialsachen die Terminsgebühr für die Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen und für die Wahrnehmung von außergerichtlichen Terminen und Besprechungen, wenn nichts anderes bestimmt ist. Eine andere Bestimmung trifft bspw. Abs. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3104 VV, die dem Anwalt eine Terminsgebühr gewährt, wenn er – ohne Wahrnehmung eines Termins – in dem in dieser Vorschrift beschriebenen Weise tätig wird. Diese Terminsgebühr wird häufig und missverständlich "fiktive" Terminsgebühr genannt. Hierzu gehört etwa der Fall, in dem das Gericht in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien oder Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet. Das OLG Schleswig (SchlHA 2022, 116 = ErbR 2022, 355) hatte die Auffassung vertreten, die Terminsgebühr nach Abs. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3104 VV entstehe nur dann, wenn das Gericht im gesamten Verfahren tatsächlich ohne mündliche Verhandlung entscheidet. Nach Auffassung des OLG Schleswig fällt somit die sog. fiktive Terminsgebühr dann nicht an, wenn zunächst ein Teil-Anerkenntnisbeschluss ergeht und das Gericht eine mündliche Verhandlung über den restlichen streitigen Teil durchführt.
In seinem Beitrag nimmt Schneider diese Entscheidung zum Anlass, sich mit der Frage zu befassen, ob die fiktive Terminsgebühr tatsächlich nur bei vollständiger Erledigung anfällt. Nach einer kurzen Einführung zu den gesetzlichen Vorgaben für den Anfall der Terminsgebühr in Vorbem. 3 ...