§ 2 Abs. 3 AG InsO NW 2019; § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO
Leitsatz
- Auch eine Schuldnerberatungsstelle bedarf zu ihrer Eignung nach § 305 InsO eine entsprechende Zulassung.
- Die Zulassung kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass die Stelle als Zweigstelle einer anderen anerkannten Einrichtung eines anderen Bundeslandes geführt wird.
- Auch aus einer bisherigen anders praktizierten Rechtspraxis ergibt sich nichts Gegenteiliges.
OVG Münster, Beschl. v. 30.6.2023 – 4 A 2509/20
I. Sachverhalt
Es ging um die Frage, ob eine Schuldnerberatungsstelle, die aufgrund einer Anerkennung ihres Rechtsträgers in einem anderen Bundesland (Hamburg) als Zweigstelle in NRW tätig war, als geeignete Stelle nach § 305 InsO (in NRW) anzuerkennen ist. Die Zweigstelle selbst war eben nicht in NWR anerkannt, auch nach bisherigem Recht nicht. Das OVG stellte auch für die Zweigstelle auf eine Anerkennung innerhalb des Landes ab. Unter dem Begriff der "Stelle" wäre schon bisher nur die lokale Organisationstruktur zu verstehen, die die Aufgaben nach § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO tatsächlich wahrnimmt.
II. Landesrechtliche Anerkennung auch für Zweigstelle
Die landesrechtliche Regelung des § 2 Abs. 3 AG InsO NRW in der ab dem 1.2.2019 geltenden Fassung (AG InsO NRW 2019) ist auf die Zweigstelle nicht anwendbar. Bei den in NRW betriebenen Zweigstellen der Klägerin (= der Schuldnerberatungsstelle) handle es sich bereits nach alter Rechtslage um eigenständige Stellen i.S.v. § 1 Abs. 1 AG InsO NRW i.V.m. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO, für die eine eigenständige Anerkennung in NRW erforderlich gewesen sei. Ein Bestandsschutz nach § 2 Abs. 3 AG InsO NRW 2019 finde weder direkt noch entsprechend Anwendung.
III. Abweichende Praxis bilde keine Ausnahme
Die Schuldnerberatungsstelle beschränkte sich auf die Darstellung einer Praxis der Insolvenzgerichte in NRW, die nach alter Rechtslage die Einreichung von Insolvenzanträgen von Stellen für zulässig erachtet habe, die über eine Zulassung eines anderen Bundeslandes, nicht aber eine Anerkennung in NRW verfügt hätten. Weiterhin beruft sich die Schuldnerberatungsstelle auf eine angebliche Praxis des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg, wonach unselbstständige Stellen in anderen Bundesländern unter der Leitung der in Hamburg anerkannten Stelle stünden und nach den Maßgaben des Hamburger Landesrechts zu beurteilen seien. Das OVG stellte hierzu fest, dass eine zeitlich zuvor abweichende Praxis, die mit der Rechtslage nicht in Einklang steht, keine anderen Folgen haben könne. Da § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO und § 1 Abs. 1 AG InsO NRW zwingende Vorschriften sind, kann selbst eine jahrzehntelang geübte abweichende Praxis die Behörde weder verpflichten noch berechtigen, unter Fortsetzung ihrer rechtswidrigen Praxis weiterhin gegen das einschlägige Recht zu verstoßen.
IV. Kein Bestandschutz
Das OVG stellte klar, dass auch kein Bestandschutz besteht. Ob ein Bestandsschutzvorschrift für nach altem Recht erteilte Anerkennungen in § 2 Abs. 3 AG InsO NRW 2019 verfassungskonform auszulegen seien oder nicht, blieb unbeantwortet. Auch eine unter dem alten Recht auf der Grundlage einer Anerkennung eines anderen Bundeslandes mit Billigung der Insolvenzgerichte in NRW tätig gewordene Stelle könne ggf. so lange weiter tätig sein, bis erstmals über einen Anerkennungsantrag nach neuem Recht entschieden werden könne. Im entschiedenen Sachverhalt kam es auch nicht darauf an, da die Anträge der Schuldnerberatungsstelle auf Anerkennung einiger (Zweig-)Stellen als geeignete Stellen i.S.d. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO bereits abgelehnt wurden.
V. Aufsicht- und Gewährleistungspflicht nur vor Ort beurteilbar
Auch ein Verweis der Schuldnerberatungsstelle auf eine "Hamburger Praxis" erzielte keinen Erfolg. Letztlich stellte sich heraus, dass die Zweigstellen nämlich nicht von Angestellten der Schuldnerberatungsstelle selbst geführt wurden und eine Einhaltung der Gewährleistung "aus der Ferne" somit nicht beurteilbar sei.
VI. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung ist bedeutend. Ausgehend vom Sachverhalt besteht eine geübte, aber offensichtlich zweifelhafte Praxis. Ausgehend davon, dass bereits einige Anerkennungen offensichtlich "zurückgewiesen" wurden, dürfte auch eine nicht unerhebliche Zahl von Standorten und damit viele praktische Fälle betroffen sein. Nach § 305 Abs. 5 InsO hat der Schuldner mit Verfahrenseröffnung einen Nachweis mittels Formblatt zu führen, wonach ein außergerichtlicher Einigungsversuch innerhalb der letzten 6 Monate vor dem Antrag erfolglos unternommen worden ist. Diese Bescheinigung muss dabei von einer geeigneten Stelle ausgestellt worden sein. Erst vor kurzem hat der BGH (Beschl. v. 24.2.2022 – IX ZB 5/21) nochmals klargestellt, dass dem Gericht keine inhaltliche Prüfung und Ausgestaltung des außergerichtlichen Einigungsversuches zukommt, stattdessen die Prüfungskompetenz in den Händen dieser "geeigneten Stellen" selbst liege. Folgerichtig nehmen diese "geeigneten" Stellen wichtige und relevante Aufgaben dar, zu deren Ausübung es daher auch einer besonderen staatlichen Zulassung bedarf. Das OVG stellt in den Gründen der Entscheidung zur Recht auch auf eine "Prüfungs- und Zulassungskompetenz" der Länder ab, die i.Ü. nicht aus der Ferne, sondern eben gerade nur "vor Ort" ...