§ 15 RVG

Leitsatz

Werden nach Aufruf der Sache zwei Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung verbunden, errechnet sich die Terminsgebühr für die anwaltliche Vertretung in dieser Verhandlung nach den jeweiligen Einzelstreitwerten, nicht anteilig nach deren Summe.

VG Augsburg, Beschl. v. 9.1.2023 – Au 9 M 22.1534

I. Sachverhalt

Der Kläger hatte zwei Verfahren vor dem VG geführt. Die Streitwerte beliefen sich auf 5.000,00 EUR (Verfahren 1) und auf 3.000,00 EUR (Verfahren 2). Beide Verfahren wurden zeitgleich terminiert und aufgerufen. Nach Aufruf der Sache wurden beide Verfahren sodann verbunden. Nachdem die Kosten des Verfahrens der Gegenseite auferlegt worden waren, beantragte der Kläger die Kostenfestsetzung. Zunächst beantragte er im Verfahren 1) die Festsetzung einer 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Wert von 5.000,00 EUR, die auch antragsgemäß festgesetzt wurde. Hiernach beantragte er in dem Verfahren 2) die Festsetzung einer 1,3-Verfahrensgebühr aus 3.000,00 EUR sowie einer 1,2-Terminsgebühr aus 8.000,00 EUR. Die Urkundsbeamtin hat im Verfahren 2) lediglich eine Terminsgebühr aus dem Wert von 3.000,00 EUR festgesetzt. Mit dem hiergegen erhobenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung macht der Kläger geltend, dass seinem Anwalt ein Wahlrecht zustehe, ob dieser die getrennten Gebühren vor Verbindung oder die Gebühren aus dem Gesamtwert nach Verbindung abrechne. Daher müsse hier die Terminsgebühr aus dem Wert von 8.000,00 EUR festgesetzt werden. Das VG hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen.

II. Gebühren sind getrennt entstanden

Die Terminsgebühren sind unstreitig zunächst einmal getrennt entstanden. Zum Zeitpunkt des Aufrufs der Sache waren die Verfahren noch nicht verbunden. Die bloße gemeinsame Terminierung zweier Verfahren löst noch keine Verbindung aus. Es bedarf vielmehr eines förmlichen Beschlusses hierzu. Dieser Beschluss ist erst nach Aufruf der Sache gefasst worden, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Terminsgebühren bereits getrennt entstanden waren.

III. Getrennte Gebühren fallen nach Verbindung nicht wieder weg

Nach § 15 Abs. 4 RVG fallen Gebühren, die bereits entstanden sind, nachträglich nicht mehr weg. Daher können die Terminsgebühren nur gesondert aus den Einzelwerten von 3.000,00 EUR und 5.000,00 EUR verlangt und festgesetzt werden. Demzufolge kommt im hiesigen Verfahren lediglich die Festsetzung einer 1,2-Terminsgebühr aus dem Wert von 3.000,00 EUR in Betracht.

IV. Nachfestsetzung im anderen Verfahren möglich

Der Kläger wird hierdurch auch nicht benachteiligt, da er im Wege der Nachfestsetzung in dem Parallelverfahren seine 1,2-Terminsgebühr aus 5.000,00 EUR noch zur Festsetzung anmelden kann.

V. Wahlrecht

Nach einhelliger Rspr. und Auffassung in der Lit. steht einem Anwalt im Falle der Verbindung bzw. Trennung ein Wahlrecht zu (VGH Kassel AnwBl. 1987, 291 = JurBüro 1987, 1359 m.w.N.). Er hat die freie Wahl, ob er die einzelnen Gebühren vor Verbindung bzw. nach Trennung abrechnet oder die gemeinsamen Gebühren des verbundenen Verfahrens. Dabei besteht das Wahlrecht für jede Gebühr gesondert. Der Anwalt muss also nicht entweder einheitlich getrennt oder einheitlich gemeinsam abrechnen. Er darf für jede einzelne Gebühr entscheiden, ob er sie getrennt oder gemeinsam abrechnet.

Voraussetzung ist allerdings, dass die betreffende Gebühr sowohl in beiden Verfahren getrennt als auch während der gemeinsamen Verbindung angefallen ist. Daher scheidet ein Wahlrecht aus, wenn die Gebühren nur in den einzelnen Verfahren oder wenn sie im verbundenen Verfahren entstanden sind, aber nur in einem der getrennten Verfahren (BGH AGS 2010, 317 = JurBüro 2010, 414 = NJW 2010, 3377 = RVGreport 2010, 214).

VI. Bedeutung für die Praxis

1. Die Abrechnungen

Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen kommen sechs verschiedene Abrechnungsvarianten in Betracht:

 

1. Variante: Gemeinsame Abrechnung

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr   652,60 EUR
  (Wert: 8.000,00 EUR)    
2. 1,2-Terminsgebühr   602,40 EUR
  (Wert: 8.000,00 EUR)    
3. Postentgeltpauschale   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.275,00 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer   242,25 EUR
  Gesamt 1.517,25 EUR
 

2. Variante: Vollständig getrennte Abrechnungen

 
I. Verfahren 1    
1. 1,3-Verfahrensgebühr   288,60 EUR
  (Wert: 3.000,00 EUR)    
2. 1,2-Terminsgebühr   266,40 EUR
  (Wert: 3.000,00 EUR)    
3. Postentgeltpauschale   20,00 EUR
  Zwischensumme 575,00 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer   109,25 EUR
  Gesamt   684,25 EUR
II. Verfahren 2    
1. 1,3-Verfahrensgebühr   434,20 EUR
  (Wert: 5.000,00 EUR)    
2. 1,2-Terminsgebühr   400,80 EUR
  (Wert: 3.000,00 EUR)    
3. Postentgeltpauschale   20,00 EUR
  Zwischensumme 855,00 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer   162,45 EUR
  Gesamt 1.017,45 EUR
  Gesamt I. + II. 1.701,70 EUR
 

3. Variante: Gemeinsame Verfahrensgebühr in Verfahren 1; getrennte Terminsgebühr

 
I. Verfahren 1    
1. 1,3-Verfahrensgebühr   652,60 EUR
  (Wert: 8.000,00 EUR)    
2. 1,2-Terminsgebühr   266,40 EUR
  (Wert: 3.000,00 EUR)    
3. Postentgeltpauschale   20,00 EUR
  Zwischensumme 939,00 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer   178,41 EUR
  Gesamt 1.117,41 EUR
II. Verfahren 2    
1. 1,2-Terminsgebühr   400,80 EUR
  (Wert: 5.000,00 EUR)    
2. Postentgeltpauschale   20,00 EUR
  Zwischensumme 420,80 EUR  
3. 19 % Umsat...

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