1. Gebührenrechtliche Ausgangslage
Werden mehrere Verfahren verbunden, liegt ab dem Zeitpunkt der Verbindung nur noch eine einzige gebührenrechtliche Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG vor. Bis zur Verbindung wird der Rechtsanwalt hingegen in selbstständigen Angelegenheiten tätig. Das hat zur Folge, dass die Anwaltsgebühren bis zur Verbindung nach dem Wert der einzelnen Verfahren entstehen. Nach der Verbindung fallen die Gebühren in der dann nur einzigen gebührenrechtlichen Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG nur einmal nach dem Gesamtwert der einzelnen Verfahren (§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 1 GKG) an.
Hat der Rechtsanwalt die Gebührentatbestände sowohl vor als auch nach der Verbindung erfüllt, hat er die Wahl, ob er die in dem noch getrennten Verfahren entstandenen Gebühren nach dem jeweiligen Gegenstandswert berechnet oder ob er für das verbundene Verfahren jeweils eine gleichartige Gebühr nach dem Gesamtwert berechnet. Was für den Rechtsanwalt günstiger ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
2. Lösung zu Fall 1
a) Angefallene Gebühren
aa) Verfahren 100/23
Rechtsanwalt A ist im Verfahren 100/23 für das Einreichen der Klageschrift (s. Nr. 3101 Nr. 1 VV) eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV angefallen. Die Wahrnehmung des Verhandlungstermins hat nach Vorbem. 3 Abs. 3 S. 1 VV eine 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV ausgelöst. Beide Gebühren berechnen sich nach einem Gegenstandswert von 10.000,00 EUR.
bb) Verfahren 200/23
Im Verfahren 200/23 ist Rechtsanwalt A ebenfalls eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV angefallen. Sie ist jedenfalls für das Einreichen des Klageabweisungsantrags und auch für die Wahrnehmung des Verhandlungstermins in dieser Höhe entstanden (s. Nr. 3101 VV). Für die Wahrnehmung des Verhandlungstermins (s. Vorbem. 3 Abs. 3 S. 1 VV) kann Rechtsanwalt A die 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV berechnen. Für beide Gebühren setzt er als Gegenstandswert den Wert der Klageforderung i.H.v. 8.000,00 EUR an.
cc) Verbundenes Verfahren
Im verbundenen Verfahren hat Rechtsanwalt A die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV für das Betreiben des Geschäfts (s. Vorbem. 3 Abs. 2 VV) für die Wahrnehmung des weiteren Verhandlungstermins (s. Nr. 3101 Nr. 1 VV) verdient. Die Wahrnehmung des Verhandlungstermins hat daneben auch nach Vorbem. 3 Abs. 3 S. 1 VV die 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV ausgelöst. Beide Gebühren berechnen sich nach dem Gesamtwert der beiden verbundenen Verfahren (§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 45 Abs. 1 GKG).
b) Gebührenberechnungen
I. |
Verbundenes Verfahren |
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1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
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1.001,00 EUR |
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(Wert: 18.000,00 EUR) |
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2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
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924,00 EUR |
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(Wert: 18.000,00 EUR) |
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3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.945,00 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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369,55 EUR |
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Gesamt |
2.314,55 EUR |
II. |
Getrennte Abrechnung des Verfahrens 100/23 |
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
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798,20 EUR |
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(Wert: 10.000,00 EUR) |
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2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
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736,80 EUR |
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(Wert: 10.000,00 EUR) |
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3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.555,00 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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295,45 EUR |
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Gesamt |
1.850,45 EUR |
III. |
Getrennte Abrechnung des Verfahrens 200/23 |
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
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652,60 EUR |
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(Wert: 8.000,00 EUR) |
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2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
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602,40 EUR |
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(Wert: 8.000,00 EUR) |
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3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.275,00 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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242,25 EUR |
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Gesamt |
1.517,25 EUR |
Für Rechtsanwalt A ist die getrennte Abrechnung mit (1.850,45 EUR + 1.517,25 EUR =) 3.367,70 EUR wesentlich günstiger als die Abrechnung des verbundenen Verfahrens nach dem Gesamtgegenstandswert mit 2.314,55 EUR.
3. Lösung zu Fall 2
a) Angefallene Gebühren
aa) Getrennte Verfahren
In beiden Verfahren hat Rechtsanwalt X die 1,3-Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV nach dem jeweiligen Gegenstandswert für das Einreichen der Klageschrift verdient (s. Nr. 3101 Nr. 1 VV). Auch die Terminsgebühr ist Rechtsanwalt X in beiden Verfahren angefallen. Sie entsteht nämlich nach Vorbem. 3 Abs. 3 S. 1 VV für die Wahrnehmung eines gerichtlichen Termins. Dies setzt objektiv voraus, dass das Prozessgericht einen Verhandlungstermin anberaumt, jedenfalls die Sache aufgerufen hat. Der Berechnung einer Terminsgebühr in jedem Verfahren steht nicht entgegen, dass das Prozessgericht den Verhandlungstermin für beide Verfahren an demselben Termintag und auf dieselbe Terminstunde anberaumt hat. Hierdurch ist nämlich noch keine formelle Verbindung der beiden Verfahren erfolgt.
In subjektiver Hinsicht erfordert der Anfall der Terminsgebühr, dass der Rechtsanwalt in dem aufgerufenen Verhandlungstermin vertretungsbereit anwesend war, was hier der Fall war. Vorliegend hat Rechtsanwalt X diese Voraussetzungen erfüllt, bevor das Prozessgericht die Verbindung der beiden Verfahren beschlossen hat. Damit ist ihm die Terminsgebühr in beiden Verfahren nach dem jeweiligen Gegenstandswert angefallen.