§ 55 RVG; § 14 StPO

Leitsatz

Eine Entscheidung durch das gemeinschaftliche obere Gericht nach § 14 StPO setzt voraus, dass zwischen mehreren Gerichten Streit über die Zuständigkeit besteht. Die Vorschrift findet nur dann Anwendung, wenn die Zuständigkeit für eine richterliche Tätigkeit in Streit steht. Dies ist bei der Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung nach § 55 Abs. 1 S. 2 RVG nicht der Fall, denn dabei handelt es sich nicht um eine richterliche Tätigkeit, sondern um eine Aufgabe der Justizverwaltung.

BGH, Beschl. v. 8.2.2023 – 2 ARs 302/22

I. Sachverhalt

Das AG Frankfurt am Main hatte beim BGH den Antrag gestellt, die Zuständigkeit für die Festsetzung einer Pflichtverteidigervergütung zu bestimmen. Gegen den Beschuldigten wurden Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main und bei der Staatsanwaltschaft Deggendorf geführt. In beiden Verfahren war ihm durch Beschluss des AG Frankfurt und durch Beschluss des AG Deggendorf antragsgemäß Rechtsanwalt R aus A als Pflichtverteidiger beigeordnet worden.

Die StA Frankfurt am Main hat das bei der StA Deggendorf geführte Verfahren übernommen und sodann beide Verfahren mit Zustimmung des AG Frankfurt am Main gem. § 153 Abs. 1 StPO eingestellt. Der mit der Festsetzung der Gebühren und Auslagen des Pflichtverteidigers befasste Rechtspfleger des AG Frankfurt am Main hat die Sache zur Herbeiführung einer Entscheidung über die Zuständigkeit für die Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung "gem. § 14 StPO" der zuständigen Richterin vorgelegt, da sowohl das AG Frankfurt am Main als auch das AG Deggendorf aufgrund der jeweiligen Beiordnungsbeschlüsse für die Festsetzung der Gebühren zuständig seien. Die zuständige Richterin hat die Sache ohne weitere Begründung dem BGH "gem. § 14 StPO zur Entscheidung" vorgelegt. Der BGH hat den Antrag zurückgewiesen:

II. Kein Fall des § 14 StPO

Nach Auffassung des BGH waren die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 14 StPO nicht gegeben. Eine Entscheidung durch das gemeinschaftliche obere Gericht nach § 14 StPO setze voraus, dass zwischen mehreren Gerichten Streit über die Zuständigkeit bestehe. Die Vorschrift finde nur dann Anwendung, wenn die Zuständigkeit für eine richterliche Tätigkeit in Streit stehe (st. Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 8.2.2018 – 2 ARs 41/18; Beschl. v. 15.12.2021 – 2 ARs 363/21; Scheuten, in: KK-StPO, 9. Aufl., 2022, § 14 Rn 2, jeweils m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall:

Bei der Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung nach § 55 Abs. 1 S. 2 RVG handele es sich nicht um eine richterliche Tätigkeit, sondern um eine Aufgabe der Justizverwaltung (vgl. OLG Oldenburg, Beschl. v. 8.8.1990 – 1 ARs 24/90; Erb, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., 2016, § 14 Rn 2). Die dem als Pflichtverteidiger in einer Strafsache beigeordneten Rechtsanwalt gem. § 45 Abs. 3 S. 1 RVG zustehende Vergütung werde, wenn das Verfahren nicht gerichtlich anhängig geworden sei, nach § 55 Abs. 1 S. 2 RVG von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts festgesetzt, das den Verteidiger bestellt hat. Die Vergütungsfestsetzung falle demnach von vornherein nicht in die funktionelle Zuständigkeit des Richters, sondern in die der Geschäftsstelle. Das Festsetzungsverfahren werde zwar gem. Teil A Nr. 1.2.1 der Verwaltungsvorschrift über die Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung vom 19.7.2005 (VwV Vergütungsfestsetzung) von Beamten des gehobenen Dienstes wahrgenommen, also in der Regel von Rechtspflegern. Diese werden insoweit aber lediglich als "besonders qualifiziertes Organ der Geschäftsstelle" (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 26.7.2007 – 3 (s) Sbd I – 8/07 m.w.N. [zu § 24 Abs. 1 Nr. 1 RPflG]) und nicht im Rahmen der ihnen durch das RechtspflegerG übertragenen Aufgaben aus dem richterlichen Zuständigkeitsbereich tätig. Das RechtspflegerG erfasse das Festsetzungsverfahren nach § 55 Abs. 1 S. 2 RVG nicht und komme daher in diesem Verfahren auch nicht zur Anwendung (vgl. Mayer/Kroiß/Kießling, RVG, 8. Aufl., 2021, § 55 Rn 36 m.w.N.); § 21 Nr. 2 RPflG betreffe lediglich die Festsetzung der zu den Kosten eines gerichtlichen Verfahrens gehörenden Rechtsanwaltsvergütung nach § 11 RVG.

Unabhängig davon besteht in vorliegender Sache auch kein Streit über die Zuständigkeit, weil es an den dafür erforderlichen divergierenden Entscheidungen mehrerer verschiedener Gerichte fehlt (vgl. dazu Scheuten, a.a.O., § 14 Rn 1; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 14 Rn 1). Dass der Rechtspfleger des AG Frankfurt am Main – neben der eigenen Zuständigkeit – auch eine Zuständigkeit des AG Deggendorf gegeben sieht, begründet noch keinen Zuständigkeitsstreit i.S.v. § 14 StPO; das AG Deggendorf sei mit der Frage der Zuständigkeit für die Vergütungsfestsetzung noch gar nicht befasst.

III. Bedeutung für die Praxis

So weit, so gut, oder auch nicht? Denn nach der Entscheidung des BGH ist immer noch offen, wer denn nun die Pflichtverteidigervergütung festsetzt. Der Rechtspfleger beim AG Frankfurt am Main oder/und – zumindest teilweise – auch der beim AG Deggendorf. Die Kommentarliteratur schweigt –...

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