Konstellationen, in denen Verfahren abgeschlossen werden, ohne dass es jemals zu einer Pflichtverteidigerbestellung komme, unterscheiden sich vom vorliegenden Fall. Hier sei es zur Erledigung des Verfahrens Az. 2 durch Hinzuverbindung zu einem anderen Verfahren Az. 1, in dem bereits eine Bestellung zum Pflichtverteidiger bestanden habe, und der anschließenden Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf das hinzuverbundene Verfahren gekommen. In dieser Situation gelte für die Pflichtverteidigerbestellung die gebührenrechtliche Rückwirkungsfiktion nach § 48 Abs. 6 S.1 und 3 RVG (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 17.9.2012 – 3 Ws 93/12; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 26. Aufl., 2023, § 48 Rn 171). Eine Vergütung des beigeordneten Verteidigers aus der Staatskasse sei für das hinzuverbundene Verfahren jedenfalls bei Vorliegen eines Erstreckungsbeschlusses gem. § 48 Abs. 6 S. 3 RVG auch im hinzuverbundenen Verfahren gewahrt, soweit er im hinzuverbundenen Verfahren tätig geworden sei. Soweit der Rechtsanwalt sich auf den Beschl. des OLG Bamberg v. 29.4.2021 (1 Ws 260/21, StRR 2021, 7/2021, 19 = NStZ-RR 2021, 315 [Ls.]) berufen hat, merkt das LG an, dass es in dem vom OLG Bamberg entschiedenen Fall nicht um eine Verfahrensverbindung ging, sondern um einen Fall, in dem das Verfahren gegen den (dortigen) Beschuldigten schon vor Entscheidung über den Beiordnungsantrag rechtskräftig abgeschlossen worden und damit die Notwendigkeit seiner Verteidigung entfallen sei. Für diesen Fall, in dem das Erstgericht eine Bestellung des Pflichtverteidigers abgelehnt habe, habe das OLG Bamberg das Vorliegen einer Beschwer bejaht (OLG Bamberg, a.a.O.). Umstritten sei, ob die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers in Betracht kommt, wenn der Antrag auf gerichtliche Beiordnung vor Verfahrensabschluss gestellt wurde, die Voraussetzungen des § 140 StPO vorgelegen haben und aufgrund justizinterner Umstände eine rechtzeitige Bescheidung des Antrags unterblieben ist (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 8.2.2022 – 12 Qs 5/22, StraFo 2022, 103 m.w.N.).
Ein solcher Fall liegt hier aber gerade nicht vor. Die vorliegende Konstellation sei durch die Änderung des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG im Jahr 2021 geregelt. Jedenfalls bei Vorliegen des entsprechenden Erstreckungsbeschlusses ist es auch aus der Sicht des Pflichtverteidigers unerheblich, ob dieser zutreffend erlassen wurde und ob beim Erlass des Beschlusses geprüft wurde, ob der Pflichtverteidiger im hinzuverbundenen Verfahren bereits als Wahlverteidiger tätig geworden sei (vgl. hierzu OLG Rostock, Beschl. v. 25.11.2013 – Ws 359/13 = AGS 2014, 178). Liegt ein Erstreckungsbeschluss gem. § 48 Abs. 6 S. 3 RVG vor, fehlt es jedenfalls an einer Beschwer des Pflichtverteidigers.
Die Regelung in § 48 Abs. 6 RVG, welche auch für hinzuverbundene staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gelte, in denen anwaltliche Tätigkeiten erbracht wurden (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 48 Rn 183), enthalte Ausnahmen zu dem Grundsatz, dass Vergütungsansprüche gegen die Staatskasse erst ab Bestellung bzw. Beiordnung entstehen (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 48 Rn 171). Hierbei trete die Rückwirkung entweder nach § 48 Abs. 6 S. 1 RVG automatisch oder gem. § 48 Abs. 6 S. 3 RVG durch Erstreckungsbeschluss ein. Während es früher umstritten gewesen sei, inwiefern bei Verfahrensverbindung ein Erstreckungsbeschluss notwendig sei, stelle § 48 Abs. 6 S. 3 RVG nunmehr klar, dass bei der Verbindung von Verfahren nach der Beiordnung in einem der Verfahren die Erstreckung von einer gerichtlichen Feststellung abhänge (LG Osnabrück, Beschl. v. 27.12.2023 – 1 Qs 70/23, AGS 2024, 113; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 48 Rn 183; Ahlmann, in: Ahlmann/Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz, RVG, 11. Aufl., 2024, § 48 Rn 43). Diese Auslegung entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers, der die Ergänzung des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG im Jahr 2021 ("und ist der Rechtsanwalt nicht in allen Verfahren bestellt oder beigeordnet") ausdrücklich für Fälle der nach der Beiordnung oder Bestellung erfolgten Verfahrensverbindungen vorgesehen hat. Durch die Neuregelung werde indirekt auch klargestellt, dass die Anordnung einer Erstreckungswirkung bei einer anwaltlichen Bestellung oder Beiordnung nach der Verbindung deshalb nicht erforderlich ist, weil § 48 Abs. 6 S. 1 RVG unmittelbar gilt (BT-Drucks 19/23484, 78/79).