§ 473 StPO
Leitsatz
Zur Kostentragungspflicht der Staatskasse bei einem erfolgreichen Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, mit dem eine auf Antrag der Staatsanwaltschaft ergangene unrichtige Entscheidung korrigiert wird.
OLG Hamm, Beschl. v. 25.6.2024 – 3 Ws 204/24
I. Sachverhalt
Das AG hatte den Verurteilten am 6.11.2013, rechtskräftig seit dem 22.12.2014, wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Nachdem aus dieser Verurteilung bereits zwei Drittel der Strafe vollstreckt wurden, hat das AG mit Beschl. v. 31.3 2022, rechtskräftig seit dem 13.4.2022, u.a. den Strafrest gem. § 36 Abs. 1 BtMG zur Bewährung ausgesetzt, nachdem der Verurteilte eine Therapie regulär beendet hatte, und die Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt.
Mit Verfügung vom 25.3.2024 hat die Staatsanwaltschaft beantragt, "die Strafe nach Ablauf der Bewährungszeit zu erlassen". Mit Beschl. v. 12.4.2024 hat die Strafvollstreckungskammer des LG Essen "die Restfreiheitsstrafe aus dem Urt. des AG v. 6.11.2013 nach Ablauf der Bewährungszeit gem. § 56g StGB erlassen". Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft am 22.4.2024 "zuungunsten" des Verurteilten sofortige Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, die Bewährungszeit laufe noch bis zum 12.4.2025.
Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Das OLG hat den Straferlassbeschluss aufgehoben, weil die Voraussetzungen des § 56g Abs. 1 StGB nicht erfüllt waren. Denn ein Straferlass kann erst nach Ablauf der Bewährungszeit erfolgen. Hier läuft die Bewährungszeit aber noch bis zum 12.4.2025. Allerdings sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Beschwerdeverfahrens der Staatskasse auferlegt worden.
II. Beseitigung eines gesetzwidrigen Zustandes
Zur Begründung der Kosten- und Auslagenentscheidung führt das OLG aus: Die Kostenentscheidung beruhe auf einer entsprechenden Anwendung des § 473 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 473 Abs. 2 S. 1 StPO (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.9.1999 – 1 Ws 701/99, NStZ-RR 2000, 223 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., 2024, § 473 Rn 17 m.w.N.). Denn trotz des entgegenstehenden Wortlauts habe die Staatsanwaltschaft die sofortige Beschwerde nach Auffassung des Senats im Ergebnis nicht zuungunsten des Verurteilten eingelegt, sondern in erster Linie unter Wahrnehmung ihrer Aufgabe, gerichtliche Entscheidungen mit dem Gesetz in Einklang zu bringen, zumal sie für die fehlerhafte Entscheidung aufgrund ihres verfrühten Antrags vom 25.3.2024 "mitverantwortlich" sei. Insoweit gelte, dass der Verurteilte nicht mit Kosten und Auslagen belastet werden dürfe, die nur dadurch entstanden sind, dass eine auf einem Irrtum des Gerichts beruhende gesetzwidrige Entscheidung beseitigt werde (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.).
III. Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung ist zutreffend. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde erreicht, dass die Bewährungszeit noch bis zu ihrem gesetzesmäßigen Ende andauert. Hierbei handelt es sich jedoch nur auf den ersten Blick um einen Erfolg des Rechtsmittels. Denn die Staatsanwaltschaft wollte mit ihrem – zuungunsten des Verurteilten eingelegten – Rechtsmittel, worauf das OLG zutreffend hinweist, lediglich ihrer Aufgabe genügen, die erstinstanzliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer mit dem Gesetz in Einklang zu bringen. Für einen solchen Fall enthalten die Kostenvorschriften der StPO aber keine Regelung. Die sofortige Beschwerde in dieser Hinsicht als erfolgreich im kostenrechtlichen Sinne anzusehen und dem Verurteilten insoweit die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen, widerspräche der sachlichen Gerechtigkeit. Der Verurteilte durfte auf eine zuverlässige Prüfung und auf eine gesetzmäßige Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vertrauen, spätestens die hätte merken müssen, dass der Antrag der Staatsanwaltschaft verfrüht war. Der Verurteilte durfte deshalb nicht mit Kosten und Auslagen belastet werden, die dadurch entstanden sind, dass eine auf einem Irrtum der Staatsanwaltschaft und der Strafvollstreckungskammer beruhende gesetzwidrige Entscheidung beseitigt wird bzw. worden ist, auch wenn das zu seinem Nachteil ist. Deshalb werden in einem solchen Fall die Vorschriften des § 473 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 473 Abs. 2 S. 1 StPO zugunsten des Verurteilten entsprechend anzuwenden und das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft als erfolglos zu behandeln (vgl. a. noch BGHSt 17, 269 = NJW 1963, 820; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998,159 = JurBüro 1998, 86) sein. Letztlich ist das eine konsequente Anwendung des Verursacherprinzips. Denn die Staatsanwaltschaft und ihr folgend die Strafvollstreckungskammer hatten den gesetzwidrigen Zustand, der durch die Entscheidung des OLG beseitigt worden ist, verursacht.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 8/2024, S. 370