1. Inzwischen herrschende Meinung?
Eine weitere (obergerichtliche) Entscheidung in der Frage, welche Gebühren für den nur für einen Vorführtermin bestellten Pflichtverteidiger anfallen. Allmählich kann man die Auffassung, die in diesen Fällen nicht nur von einer Einzeltätigkeit ausgeht, sondern den Pflichtverteidiger als "vollen Verteidiger" ansieht, der nach Teil 4 Abschnitt 1 VV alle (Verteidiger-)Gebühren abrechnen kann, als h.M. ansehen (so auch OLG Brandenburg, Beschl. v. 27.2.2024 – 1 Ws 13/24 (S), AGS 2024, 171; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.2.2023 – 2 Ws 13/23, AGS 2023, 164; OLG Köln, Beschl. v. 24.1.2024 – 3 Ws 50/23, AGS 2024, 226; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 7.6.2023 – 1 Ws 105/23, AGS 2023, 310 = StraFo 2023, 335; LG Aachen, Beschl. v. 20.10.2020 – 60 Qs 47/20; LG Bad Kreuznach, Beschl. v. 21.5.2024 – 2 Qs 14/24, AGS 2024, 271; LG Frankenthal (Pfalz), Beschl. v. 27.4.2023 – 1 Qs 76/23, AGS 2023, 219; LG Magdeburg StraFo 2018, 314 = AGS 2018, 341; Beschl. v. 16.7.2021 – 21 Qs 53 u. 54/21, AGS 2021, 427; LG Tübingen, Beschl. v. 6.2.2023 – 9 Qs 25/23, AGS 2023, 238; AG Halle (Saale), Beschl. v. 20.5.2022 – 398 Gs 540 Js 594/22 (259/22), AGS 2022, 310; AG Ludwigshafen, Beschl. v. 3.3.2023 – 4a Ls 5227 Js 9474/22 (nur Grundgebühr), AGS 2023, 217; AG Tiergarten, Beschl. v. 14.10.2022 – (278 Ds) 265 Js 277/22 (110/22), AGS 2022, 513; a.A. OLG Celle RVGreport 2019, 17 = StraFo 2018, 534; OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.1.2023 – 4 Ws 13/23, AGS 2023, 162; LG Leipzig RVGreport 2019, 338 = StraFo 2019, 439). Das ist zutreffend, sodass das Ergebnis der Entscheidung des OLG Koblenz nicht zu beanstanden ist.
2. "Unschöne"/einschränkende Begründung des OLG
Mit der Begründung des OLG kann ich mich allerdings nicht anfreunden, da das OLG das gefundene Ergebnis offenbar sogleich wieder einschränken will. Denn das OLG will – so ist es m.E. zu verstehen – von Teil 4 Abschnitt 1 VV und damit vom Anfall aller Gebühren wohl nur dann ausgehen, "wenn wie vorliegend noch kein anderer Verteidiger bestellt ist, sondern ein solcher bloß die Bereitschaft zur Übernahme der Verteidigung erklärt hat." Diese Sicht der Dinge ist m.E. falsch. Denn auch, wenn bereits ein Verteidiger bestellt ist oder sich bestellt hat, muss der Verteidiger im/für den Vorführtermin die vom OLG beschriebenen Verteidigertätigkeiten erbringen. Das ist/wäre aber originäre volle Verteidigertätigkeit und geht weit über das hinaus, was über eine Einzeltätigkeit nach Nrn. 4301 Nr. 4 VV abzurechnen wäre. Von daher ist die Entscheidung "unschön" und mutet ein wenig wie die Echternacher Springprozession: Zwei Schritte vor, einer zurück.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 8/2024, S. 357 - 359