Nrn. 4124, 4130 VV RVG
Leitsatz
Wenn der Verteidiger nach (Teil-)Aufhebung und Zurückverweisung eines Verfahrens durch das Revisionsgericht an das Berufungsgericht dem Mandanten den weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens erläutert, entsteht durch diese Tätigkeit die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren.
AG Nürnberg, Beschl. v. 2.5.2024 – 401 Ds 207 Js 8267/22
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt ist mit Beschl. des AG v. 20.5.2022 dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Am 31.10.2022 wurde der Angeklagte durch das AG wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Im Berufungsverfahren ist er dann durch das LG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von (noch) 8 Monaten verurteilt worden, die weitergehende Berufung wurde als unbegründet verworfen. Auf die Revision des Angeklagten hat das BayObLG das Berufungsurteil insofern aufgehoben, als der Angeklagte wegen des Verstoßes gegen das GewSchG in 3 Fällen samt der Gesamtstrafenbildung verurteilt worden ist. Die Sache wurde im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere (Berufungs-)Strafkammer des LG (zurück-)verwiesen. I.Ü. wurde die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen.
Die Akte ging am 21.12.2023 beim LG ein. Die nun zuständige Strafkammer des LG hat dann mit Beschl. v. 10.1.2024 die Bestellung des Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger des Angeklagten gem. § 143 Abs. 2 StPO aufgehoben.
Mit Schriftsatz vom 13.1.2024 beantragte der Verteidiger Kostenfestsetzung für das Berufungsverfahren. Geltend gemacht wurde eine Verfahrensgebühr Nr. 4124 VV für das zweite Berufungsverfahren sowie die Post und Telekommunikationspauschale zzgl. Umsatzsteuer, insgesamt 359,38 EUR. Die Rechtspflegerin des AG hat den Kostenfestsetzungsantrag zurückgewiesen. Die Erinnerung des Rechtsanwalts hatte Erfolg.
II. Argumentation der Rechtspflegerin im AG Nürnberg, Beschl. v. 14.2.2024 – 401 Ds 207 Js 8267/22
Die Rechtspflegerin hatte die Ablehnung der Festsetzung damit begründet, dass, wenn an ein – wie hier – Gericht eines niedrigeren Rechtszugs verwiesen werde, es sich bei dem weiteren Verfahren nach Verweisung um eine neue Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG i.V.m. § 20 S. 2 RVG handle. Damit könne in einem solchen Fall zwar grds. die Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren Nr. 4124 VV entstehen, es müsse allerdings auch eine entsprechende, die Gebühr auslösende Tätigkeit des Rechtsanwalts erfolgt sein. Dazu habe der Verteidiger angegeben, er habe seinem Mandanten mit Schreiben vom 13.1.2024 die Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die Erfolgsaussichten einer etwaigen sofortigen Beschwerde gegen die Entpflichtungsentscheidung erläutert. Er habe seinen Mandanten weiterhin mit Schreiben vom 27.11.2023 auch über das Ergebnis der erfolgreichen Revision und den weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens informiert.
Das hat der Rechtspflegerin für das Entstehen der Gebühr nicht gereicht. Grds. gelte für die Verfahrensgebühr Nr. 4124 RVG, dass die Einlegung einer Berufung und die Besprechung der erstinstanzlichen Entscheidung noch durch die Verfahrensgebühr der ersten Instanz abgedeckt sei. Analog auf das Verfahren nach Zurückverweisung angewendet sei demnach die im Schreiben vom 27.11.2023 entfaltete Tätigkeit noch von der aufgrund eines anderen Kostenfestsetzungsantrages des Rechtsanwalts festgesetzten Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV für das Revisionsverfahren abgedeckt. Eine allgemeine Information über den grundsätzlichen weiteren Verlauf der neuen Berufungsinstanz vor der eigentlichen Anhängigkeit bei der "neuen" Berufungskammer löse ebenfalls noch keine neue Verfahrensgebühr aus. Es sei üblich, dass sich nach der Kenntnisnahme einer Entscheidung der Prozessbevollmächtigte gegenüber dem Mandanten mündlich oder schriftlich äußere. Diese Tätigkeit sei jedoch noch der gerade zu Ende gegangenen Instanz zuzurechnen. Die Erläuterung der Sach- und Rechtslage im Hinblick auf die Erfolgsaussichten einer etwaigen sofortigen Beschwerde gegen die erfolgte Entpflichtung sei zeitlich nach der Entpflichtungsentscheidung erfolgt. Allein deshalb sei bereits keine Grundlage mehr für eine Festsetzung gegen die Staatskasse gegeben.
Die Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV sei ebenfalls abzusetzen, da diese grds. nur entstehen könne, wenn auch eine Gebühr in einer Angelegenheit entstanden sei.
III. Argumentation des AG Nürnberg in der Erinnerungsentscheidung
Anders als die Rechtspflegerin hat der Richter dann aber die beantragten Gebühren – wie beantragt – festgesetzt.
Der Verteidiger sei bis zur Entpflichtungsentscheidung des LG v. 10.1.2024 als Pflichtverteidiger beigeordnet (gewesen). Das zweite Berufungsverfahren – Verfahren nach der Zurückverweisung – sei gem. § 21 RVG gegenüber dem Revisionsverfahren, dem ersten Berufungsverfahren und der 1. Instanz eine eigene Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG. Das zweite Berufungsverfahren habe gem. § 34a StPO mit Ablauf des Tages der Beschlussfassung über die Zurückverweisung an das LG, also mit Ablauf des 23.11.2023, begonnen.
Voraussetzung für das Anfallen einer Gebühr im zweiten Berufungsverfahren sei eine kostenauslösende Tätigkeit des Vert...