RVG §§ 15a, 60; RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4, Nrn. 2300, 3100
Leitsatz
- Eine Geschäftsgebühr, auf die keine Zahlung erfolgt ist, ist nicht auf die aus der Staatskasse zu zahlende Verfahrensgebühr anzurechnen.
- Es kann dahinstehen, ob die Übergangsregelung des § 60 RVG auf die Neuregelung des § 15a RVG anzuwenden ist. Denn auch für diesen Fall ist bei Altfällen der in dem "Modernisierungsgesetz" vom 30.7.2009 zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers hinsichtlich der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Verhältnis zur Staatskasse zu beachten.
OVG NRW, Beschl. v. 11.8.2009–4 E 1609/08
1 Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf ihren Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse. Sie hatte ihren Mandanten bereits im Vorverfahren vertreten und ist diesem erstinstanzlich im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung beigeordnet worden.
Das VG hat mit dem angefochtenen Beschluss die Erinnerung der Beschwerdeführerin zurückgewiesen, mit der sie erneut geltend machte, keine Zahlung auf die Geschäftsgebühr erhalten zu haben, weil ihr Mandant die eidesstattliche Versicherung abgegeben habe und eine Pfändung erfolglos sei. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die nach dem Gesetz vorgesehene anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr eine Zahlung auf die Geschäftsgebühr nicht voraussetze und auch für die Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung gelte. Ausreichend sei, dass die Geschäftsgebühr entstanden sei.
Dagegen wendet die Beschwerdeführerin ein, es sei ohne Einschränkung Prozesskostenhilfe für die erste Instanz bewilligt worden und das sei für das Festsetzungsverfahren verbindlich. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erstrecke sich nur auf den jeweiligen Rechtszug; das Vorverfahren gehöre aber nicht zum Rechtszug ersten Instanz und könne deshalb nicht berücksichtigt werden. Abgesehen davon sei ihr Mandant nicht in der Lage, die Geschäftsgebühr zu bezahlen, so dass eine Anrechnung unbillig sei.
Die Beschwerde hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen
Eine konkrete Regelung, unter welchen Voraussetzungen die Anrechnungsregelung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV (anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr) auf die Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Geschäftsgebühr zu berücksichtigen ist, fehlt in dem Gesetz. Durch das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften v. 30.7.2009 (BGBl I. S. 2449) ist im Art. 7 Abs. 4 Nr. 6 § 55 Abs. 5 S. 2 RVG durch folgende Sätze ersetzt worden:
"Der Antrag hat die Erklärung zu enthalten, ob und welche Zahlungen der Rechtsanwalt bis zum Tag der Antragstellung erhalten hat. Bei Zahlungen auf eine anzurechnende Gebühr sind diese Zahlungen, der Satz oder der Betrag der Gebühr und bei Wertgebühren auch der zugrunde gelegte Wert anzugeben. Zahlungen, die der Rechtsanwalt nach der Antragstellung erhalten hat, hat er unverzüglich anzuzeigen."
Aus der in § 55 Abs. 5 S. 3 RVG (n.F.) geregelten umfassenden Erklärungspflicht ergibt sich hinreichend deutlich, dass eine Gebührenanrechnung im Verhältnis zur Staatskasse jedenfalls dann nicht stattfinden soll, wenn der Rechtsanwalt keine Zahlungen erhalten hat.
Vgl. dazu Hansens, AnwBl 2009, 535 (539); ferner: OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.1.2008–8 WF 5/08, RVGreport 2008, 108 und Enders, JurBüro 2008, 561 [= AGS 2008, 561].
Diese für Fälle der vorliegenden Art in Zukunft zu beachtende – indirekte – Regelung ist nach Art. 10 des Gesetzes am 5.8.2009 in Kraft getreten. Eine Rückwirkung hat der Gesetzgeber nicht angeordnet, so dass die allgemeine Übergangsregelung in § 60 Abs. 1 S. 1 RVG eingreifen müsste. Dies kann aber dahinstehen. Denn auch für diesen Fall ist bei Altfällen der in dem "Modernisierungsgesetz" vom 30.7.2009 zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers hinsichtlich der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Verhältnis zur Staatskasse zu beachten. Der Wortlaut des § 55 Abs. 5 S. 2 RVG in der alten Fassung spricht nicht dagegen. Dafür spricht allerdings, dass der Gesetzgeber nunmehr lediglich das geregelt hat, was sich seiner Auffassung nach bereits aus der früheren Fassung des RVG ergeben hat.
Vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks 16/12717 S. 68; Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Ausschuss RVG und Gerichtskosten, abrufbar unter www.anwaltverein.de /45/08; Hansens, AnwBl 2009, 535; Kallenbach, AnwBl 2009, 442.
Der – verbreiteten – Rechtsprechung, vgl. dazu die Nachweise bei Hansens, AnwBl 2009, 293, Fn 7, nach der die Anrechnung der Geschäftsgebühr bei der Festsetzung der Prozesskostenhilfe-Vergütung selbst dann zu berücksichtigen war, wenn der bedürftige Mandant dem PKH-Anwalt die Geschäftsgebühr nicht gezahlt hatte, war insbesondere die Rspr. des BGH vorausgegangen, Beschl. v. 22.1.2008 – VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323 = An...