ZPO §§ 239 ff.; RVG § 15 Abs. 5 S. 2

Leitsatz

Führt der Prozessbevollmächtigte eine "erledigte" Angelegenheit mit einer zeitlichen Unterbrechung von mehr als zwei Kalenderjahren fort, so fingiert das Gesetz dieses als Auftrag zu einer neuen Angelegenheit. Dies gilt auch bei einem mehr als zwei Kalenderjahre ausgesetzten Verfahren.

OLG Brandenburg, Beschl. v. 7.5.2009–6 W 219/08

1 Sachverhalt

Der verstorbene Kläger F. L. hatte mit der am 28.2.2004 zugestellten Klage den Beklagten, wohnhaft in N., auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch genommen.

Mit Schriftsatz vom 16.2.2004 hatte die Beklagtenvertreterin, damals mit Kanzleisitz in P., mitgeteilt, dass sie den Beklagten im Rechtsstreit vertrete.

Mit Schriftsatz vom 13.4.2004 hat der Klägervertreter mitgeteilt, dass der Kläger F. L. verstorben ist. Auf Antrag des Klägervertreters hat das LG Potsdam mit Beschl. v. 14.6.2004 die Aussetzung des Verfahrens angeordnet.

Die Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat mit Schriftsatz vom 6.9.2004 mitgeteilt, dass sie ihre Anwaltskanzlei nach I. verlegt habe.

Mit Schriftsatz vom 27.10.2007 hat der Klägervertreter beantragt, dem Rechtsstreit Fortgang zu geben; die Alleinerbin des Klägers, Frau M. L., nehme den Rechtsstreit auf. Die Ehefrau des verstorbenen Klägers war mit Testament von 23.10.1984 zur Alleinerbin nach F. L. eingesetzt worden.

In dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 30.4.2008 vor dem LG Neuruppin ist für die Klägerin niemand, der Beklagte in Person nebst seiner Prozessbevollmächtigten erschienen.

Mit Versäumnisurteil vom 30.4.2008 sind der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden.

Der Beklagte hat um Festsetzung seiner außergerichtlichen Kosten mit Antrag vom 19.6.2008 nachgesucht.

Er begehrt die Festsetzung einer Prozessgebühr (10/10-Gebühr, § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO), einer Verfahrensgebühr (1,3-Gebühr nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3100 VV) einer Terminsgebühr (0,5-Gebühr nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3105 VV), einer Post- und Telekommunikationspauschale sowie einer Dokumentenpauschale, Fahrtkosten, Tage- und Abwesenheitsgeld, Übernachtungskosten sowie Umsatzsteuer auf sämtliche Gebühren und Kosten in Höhe von 19 %.

Das LG hat die von der Klägerin an den Beklagten zu erstattenden Gebühren festgesetzt. Das LG hat für erstattungsfähig erachtet eine 10/10-Gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO – diese reduziert um 10 % nach Maßgabe Nr. 26 a S. 2 des Einigungsvertrages – sowie eine Auslagenpauschale nach § 26 BRAGO, ferner eine 5/10-Verhandlungsgebühr nach §§ 11, 33 Abs. 1 S. 1 BRAGO.

Gegen diesen zugestellten Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten. Dieser begehrt die Festsetzung der Gebühren nach RVG, wie von ihm angemeldet, ferner die Erstattung von Reisekosten.

Das LG hat der Beschwerde teilweise abgeholfen und diese im Übrigen dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.

2 Aus den Gründen

Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist zulässig; sie hat in der Sache überwiegend Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

1.  Es sind weitere erstattungsfähige Kosten zulasten der Klägerin festzusetzen, nämlich eine Verfahrensgebühr und eine 0,5-Terminsgebühr, beide ausgelöst nach den Vorschriften des RVG.

Der Beklagte hat seine Prozessbevollmächtigte spätestens Anfang 2004 mit seiner anwaltlichen Vertretung in dem Rechtsstreit auf Schadensersatz aus einem Unfall vom 1.2.2002 beauftragt. Die Beklagtenvertreterin hat sich mit Schriftsatz vom 16.2.2004 bestellt und Widerklage mit Schriftsatz vom 4.3.2004 gefertigt. Zu diesem Zeitpunkt galten die Vorschriften der BRAGO. Durch die Tätigkeit der Beklagtenvertreterin ist eine Prozessgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO (10/10-Gebühr) ausgelöst worden.

Nach dem Tod des vormaligen Klägers F.L. dauerte die Aussetzung des Verfahrens vom 14.6.2004 bis zum 28.12.2007. Unter letztgenanntem Datum ist der Schriftsatz des Klägervertreters vom 27.10.2007 bei Gericht eingegangen, wonach der Rechtsstreit durch die Alleinerbin des Klägers, Frau M. L, fortgesetzt werden solle. Das Verfahren war mithin mehr als zwei Jahre und sechs Monate ausgesetzt.

Durch die von der Beklagtenvertreterin entfaltete Tätigkeit nach Aufnahme des Verfahrens sind erneut Gebühren ausgelöst worden, und zwar eine Verfahrensgebühr (1,3-Gebühr nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3100 VV) sowie eine Terminsgebühr (0,5-Gebühr nach §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3105 VV) durch Wahrnehmung des Termins vom 13.4.2008.

Entgegen der Ansicht des LG ist die Beklagtenvertreterin nach der Wiederaufnahme des Verfahrens nicht "in derselben Angelegenheit" für den Beklagten tätig geworden; vielmehr gilt die Tätigkeit der Beklagtenvertreterin als neue Angelegenheit (§ 15 Abs. 5 S. 2 RVG entsprechend).

Es ist zwar richtig, dass das Verfahren nach der Aufnahme eines nach §§ 239 ff. ZPO unterbrochenen bzw. ausgesetzten Rechtsstreites mit dem unterbrochenen Verfahren zusammen dieselbe Angelegenheit darstellt. Gleiches gilt bei Fortsetzung des Rechtsstreits für die Erben durch den Prozessbevollmächtigten des Erblassers, da durch den Tod des Auftraggebers des (vor...

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